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Rebecka Martinsson 04 - Bis dein Zorn sich legt

Rebecka Martinsson 04 - Bis dein Zorn sich legt

Titel: Rebecka Martinsson 04 - Bis dein Zorn sich legt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åsa Larsson
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sich nicht weiter streiten zu müssen.
    Abends taucht Wilma bei Hjalmar auf. Sie hat ihr Mathebuch in der Hand.
    »Du kannst das hier«, sagt sie ohne Einleitung und geht geradewegs in seine Küche, lässt sich am Küchentisch nieder. »Du bist doch ein Genie.«
    »Ach, ich weiß nicht …«, setzt Hjalmar an, wird aber unterbrochen.
    »Du musst mir das beibringen. Ich kapier den Scheiß nicht.«
    »Nein, ich kann das doch gar nicht«, versucht er es und gerät außer Atem, aber Wilma hat bereits ihre Jacke abgestreift.
    »Doch!«, fordert sie. »Du kannst.«
    »Na gut.« Er gibt sich geschlagen. »Aber ich bin keine Lehrerin.«
    Sie sieht ihn flehend an. Geradezu bettelnd. Und da muss er sich neben sie setzen.
    Dann schwitzen sie beide eine gute Stunde. Sie schreit und tobt, wie immer, wenn ihr etwas nicht passt. Und zu seiner Überraschung schreit auch er. Er schlägt mit der Faust auf den Tisch und sagt, sie solle verdammt noch mal ins Mathebuch schauen und nicht aus dem Fenster. Ob sie meditiere? Oder was zum Teufel sie eigentlich mache? Und als sie vor Erschöpfung über die Gleichungen zweiten Grades in Tränen ausbricht, streicht er ihr ungeschickt über den Kopf. Und fragt sie, ob sie etwas trinken möchte. Und dann trinken sie Coca-Cola.
    Und am Ende begreift sie, was sie mit der »Scheißquadratwurzel« anfangen soll.
    Sie sind beide total erschöpft. Können nicht mehr denken. Hjalmar wärmt Gorbys Pirogen auf, und die essen sie dann zusammen mit einem GB-Sahneeis.
    »Verdammt, du bist ja vielleicht gescheit«, sagt sie. »Warum fährst du Lastwagen? Du müsstest doch Professor sein.«
    Er lacht ihr ins Gesicht.
    »Professor für Mathe der neunten Klasse.«
    Wie sollte sie das verstehen können? Seit er die aus Magister Fernströms Wagen gestohlenen Mathebücher durchgearbeitet hatte, hat er immer weiter gerechnet. Er hat sich Bücher aus Universitätsbuchhandlungen und aus Antiquariaten bestellt. In Algebra beschäftigt er sich mit Lagranges Theorem und Gruppen von Permutationen. Er hat schon längst Fernkurse bei Hermods gemacht, nicht nur in Mathe. Ist nach Stockholm gefahren und hat die Prüfung abgelegt. Hat behauptet, er wolle zum Einkaufen nach Finnland. Oder nach Luleå, um einen Motor zu holen. Mit fünfundzwanzig hat er bei Hermods das Abitur nachgeholt. Am Wochenende danach ist er in seine Hütte hinausgefahren. Hatte eine Flasche Wein gekauft. Er trinkt sonst eigentlich nicht, und Wein schon gar nicht. Aber da saß er dann mit einem Senfglas voller Rotwein. Es schmeckte beschissen. Hjalmar lächelt bei dieser Erinnerung.
    Sie arbeiten noch eine Weile weiter, aber endlich ist es Zeit, nach Hause zu gehen. Wilma zieht ihre Jacke an.
    »Sag es nicht weiter«, sagt er, ehe sie geht. »Du weißt schon. Nicht Tore und auch sonst niemandem. Dass ich Mathe kann und so.«
    »Natürlich nicht«, sagt sie munter.
    In Gedanken ist sie schon anderswo. Vermutlich bei Simon Kyrö. Sie bedankt sich für die Hilfe und verschwindet.
    Rebecka Martinsson und Hjalmar Krekula stehen auf dem Friedhof. Rebecka hat das Gefühl, in einem Boot zu sitzen, während Hjalmar ins Wasser gefallen ist. Er klammert sich verzweifelt an den Bootsrand, aber sie kann ihn nicht an Bord ziehen. Bald wird er ganz ausgekühlt ein. Sein Zugriff um den Bootsrand wird nachlassen. Er wird untergehen. Und sie kann nichts tun.
    »Was ist los?«, fragt sie.
    Sowie sie das gesagt hat, bereut sie die Frage. Sie will nicht wissen, was mit ihm los ist. Sie ist nicht für ihn verantwortlich.
    »Ich habe Sodbrennen oder so was«, sagt er und schlägt sich mit der Faust auf die Brust.
    »Ach«, sagt sie.
    »Ich muss jetzt gehen«, sagt er, macht aber keinerlei Anstalten, sich zu entfernen.
    »Soso«, sagt sie. Sie hat Vera im Auto. Sie müsste jetzt gehen.
    »Man fragt sich, was man machen kann«, sagt er, und sein Gesicht zuckt.
    Sie schaut zu den Bäumen hinüber. Weicht seinem Blick aus.
    »Wenn es ganz schlimm wurde, bin ich in die Natur hinausgegangen«, sagt sie. »Manchmal hat das geholfen.«
    Da trottet er davon.
    Ihre Hilflosigkeit zieht ihre Arme zum Boden.
    Rebecka Martinsson kehrte um Viertel nach zwei Uhr nachmittags auf die Wache zurück. In der Eingangstür traf sie auf Anna-Maria Mella. Vera sprang vor Glück an Anna-Maria hoch. Hinterließ feuchte Pfotenabdrücke auf deren Jeans.
    Anna-Marias Augen waren blank und lebhaft. Ihre Wangen rot. Ihre Haare schienen sich danach zu sehnen, frei und wild zu sein, Strähnen lösten sich aus

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