Rebellen der Ewigkeit
Kreisverkehr. Von der Polizei war nichts zu sehen. Willis umrundete den Kreisel einmal und fuhr dann erneut in den Tunnel ein. Erst als sie auf der anderen Seite herauskamen, wagte er, seine verkrampften Finger zu lockern und sich mit einer Hand den Schweiß von der Stirn zu wischen.
»Dafür, dass du keinen Führerschein hast, war das ganz gut«, kommentierte Valerie.
»Danke.« Willis warf ihr einen kurzen Blick zu. »Du bist aber auch eine gute Beifahrerin.«
Sie lächelte wortlos.
Ohne weitere Probleme erreichten sie die Straße vor dem Gericht. Karelia Simms stand an der Stelle auf dem Bürgersteig, an welcher der Pick-up vorhin geparkt hatte. Sie hielt ihr Mobiltelefon ans Ohr gedrückt. Als sie ihren Wagen erkannte, ließ sie das Telefon sinken.
Willis rollte am Bordstein aus und schaltete in den Leerlauf. Er kletterte aus der Kabine und wäre beinahe zu Boden gegangen, so sehr zitterten seine Beine. Mit dem Absacken des Adrenalinpegels holte ihn der Schock jetzt ein. Er musste sich am Pick-up abstützen.
»Ich wollte gerade die Polizei anrufen!«, schimpfte Karelia, die um den Wagen herum kam. Als sie das Gesicht von Willis bemerkte, entspannten sich ihre Züge sofort.
»Was ist passiert?«, fragte sie nur.
Willis wollte antworten, brachte aber nur einen quäkenden Laut hervor. Er räusperte sich und atmete ein paar Mal tief durch. Beim zweiten Versuch klappte es.
»Die Männer, die Ihre Dokumente haben wollten, sind wieder aufgetaucht.«
Karelia zog die Augenbrauen hoch. »Ist das eine längere Geschichte?«
Willis nickte nur.
»Dann lade ich euch zum Essen ein und du kannst mir alles in Ruhe erzählen.«
Willis kletterte in die Mitte der Sitzbank und Karelia nahm hinter dem Steuer Platz. Er zog ein Papiertaschentuch hervor und hielt es ihr hin.
»Sie sollten vielleicht erst das Lenkrad abwischen.«
Karelia blickte ihn vielsagend an, sagte aber nichts. Sie fuhr mit dem Tuch einmal um den Lenker herum und steckte es dann achtlos in die Türablage. »Ich bin übrigens Karelia Simms, wie ihr schon wisst. Und ihr?«
Valerie und Willis nannten ihre Namen. Karelia nickte.
»Und jetzt habe ich Hunger«, erklärte sie und legte den Gang ein.
ZUR SELBEN ZEIT,
IRGENDWO ANDERS IN DER STADT …
Ellie Normann war eine Frau, die den meisten Männern keinen zweiten Blick wert war.
Sie war zwar erst Mitte dreißig, aber wer ihr begegnete, schätzte sie mindestens zehn Jahre älter. Das lag nicht nur an ihrer altmodischen und immer etwas unordentlichen Kleidung, sondern vor allem an ihrem Gesicht, das von zahlreichen Falten durchfurcht war, und ihren dünnen Lippen, die stets so aussahen, als würden sie mit Macht aufeinandergepresst.
Ellie war nicht immer so gewesen. In der Schule gehörte sie zu den Mädchen, die nicht über den Schulhof gehen konnten, ohne dass ihnen nachgepfiffen wurde. Auch in ihrem ersten Jahr an der Universität wurde sie von ihren Mitstudentinnen um ihr Aussehen und ihre Intelligenz beneidet.
Und dann brach das Chaos in ihrem Kopf aus.
Ellie musste das Studium abbrechen und verbrachte die folgenden Jahre mit Aufenthalten in verschiedenen psychiatrischen Kliniken und verzweifelten Versuchen, im Alltag wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen. Und immer wieder war sie gescheitert, hatte den ganzen Tag depressiv in ihrer kleinen Wohnung gesessen, hin- und hergerissen zwischen unzähligen guten Vorsätzen, von denen sie letztlich keinen realisierte, weil sich sofort ein neuer Gedanke, eine neue Idee aufdrängte.
Aber seit einem Jahr hatte sie ihr Leben wieder im Griff. Gemeinsam mit Doktor Starck hatte sie eine Strategie erarbeitet, die ihr half, den Alltag zu bewältigen. Die Grundlage dafür war ein starres Gerüst, in das sie ihren Tag hineinpresste.
Jede Sekunde ihres Lebens war akribisch verplant. So klingelte auch heute der Wecker exakt um halb sieben. Sie reckte sich noch fünf Minuten im warmen Bett, bevor sie aufstand und unter die Dusche sprang. Genau um 6 Uhr 45 hatte sie sich abgetrocknet; um 6 Uhr 50 stand sie angezogen in der Küche und schüttete Kaffeepulver in den Filter der Kaffeemaschine. Sie nahm ein Ei aus dem Kühlschrank und legte es in einen kleinen Topf mit Wasser, den sie anschließend auf die Herdplatte stellte.
Punkt 6 Uhr 55 verließ sie ihre Wohnung, um sich beim Bäcker auf der anderen Straßenseite ein Baguette und zwei Croissants zu holen. Die Verkäuferin, die Ellies Gewohnheiten kannte, würde diese wie immer bereits in einer
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