Rebellen der Ewigkeit
herunter. Ausgewaschene Jeans, Turnschuhe, darüber ein labbriger Pullover. Und sie war auch keine alte Dame, sondern machte mit ihren fünfundfünfzig Jahren noch einen durchaus frischen Eindruck. Das wusste sie, weil sie sich ab und zu im Spiegel ansah, auch wenn sie damit die Sünde der Eitelkeit beging.
Sie streckte ihrer Besucherin die Hand entgegen. »Guten Tag. Ich bin Mutter Franziska. Und Sie?«
Die Frau ergriff die Hand der Oberin. Sie besaß einen festen Händedruck, was Mutter Franziska wohlwollend registrierte. »Mein Name ist Sarah Pahlen. Und entschuldigen Sie bitte noch einmal ...«
»Kein Problem«. Mutter Franziska machte eine einladende Handbewegung. »Bitte nehmen Sie Platz und erzählen Sie mir, was Sie zu uns führt.«
Die Frau setzte sich und schlug die Beine übereinander. Sie betrachtete ihre Hände, was Mutter Franziska Gelegenheit gab, sie näher in Augenschein zu nehmen. Ihre Haare waren braun und kurz geschnitten. Sie hatte ein strenges Gesicht, das aber dennoch nicht unattraktiv war. Zahlreiche Fältchen waren der Beweis für ein Leben, das nicht einfach gewesen war. Und doch strahlte sie eine gewisse Energie aus, wenn auch hier und da erste Züge von Müdigkeit zu erkennen waren. Mutter Franziska versuchte, ihr Alter zu schätzen. Es war schwierig. Die Frau konnte vierzig Jahre alt sein, vielleicht aber auch fünfzig. Auf keinen Fall war sie älter.
»Nun?«, ermunterte sie ihre Besucherin.
Die Frau blickte auf. Ihre Augen waren von einem undefinierbaren Grau, in dem sich nur schwer erkennen ließ, welche Gefühle ihre Besitzerin gerade bewegten.
»Es geht um einen Ihrer Zöglinge«, sagte sie. »Er ist Ihnen im Alter von einem Jahr übergeben worden. Vorher war er im Waisenhaus der Mildtätigen Schwestern von Santa Cruz.«
Mutter Franziska nickte. »Ich erinnere mich. Der Orden hat sich damals wegen mangelnder Mittel aufgelöst, ein Schicksal, das uns ebenfalls droht. Die Kinder sind an verschiedene andere Ordenshäuser verteilt worden.«
»Sie erinnern sich an den Jungen?«
Die Oberin sah ihre Besucherin nachdenklich an. »Das sind vertrauliche Informationen, wie Sie sicher wissen. Welches Interesse haben Sie an dem Kind, wenn ich fragen darf?«
Sarah Pahlen senkte erneut den Blick. Sie schien mit sich zu ringen und schließlich zu einem Entschluss zu kommen.
»Bleibt das, was ich Ihnen sage, unter uns?«
Mutter Franziska nickte erneut. »Wenn Sie es wünschen.«
»Ich bin die Mutter des Jungen.«
Diese Information kam für die Oberin nicht überraschend. Sarah Pahlen war nicht die Erste, die nach vielen Jahren kam, um sich nach ihrem Kind zu erkundigen. Mutter Franziska konnte spüren, wie die Frau litt. Aber da war noch etwas anderes, das sie wahrnahm. Etwas, das nicht zu diesem Leid passte. Sie wusste es nicht genau zu identifizieren. Sarah Pahlen verstand es gut, ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten.
»Sie werden verstehen, dass ich mich dabei nicht allein auf Ihre Aussage verlassen kann«, begann sie schließlich. »Und selbst wenn Sie sich als die Mutter des Jungen legitimieren können, darf ich Ihnen keine Auskünfte über seinen Aufenthaltsort geben.«
»Er ist also nicht mehr hier?«
»Das habe ich nicht gesagt.« Die Frau hatte einen scharfen Verstand. Mutter Franziska ermahnte sich still, noch vorsichtiger bei ihren Formulierungen zu sein. »Vielleicht erzählen Sie mir zunächst einmal, warum Sie Ihr Kind damals so kurz nach der Geburt abgegeben haben. Und weshalb Sie sich nun, siebzehn Jahre später, wieder für ihn interessieren.«
Die Besucherin sprang auf und lief ein paar Mal in dem kleinen Zimmer hin und her. Dann blieb sie hinter dem Stuhl stehen und zog ihn an der Lehne wie einen Schutzschild an sich heran.
»Ich befand mich damals in einer Situation, in der mein Leben gefährdet war. Und damit auch das meines Sohnes. Zu jener Zeit sah ich nur eine Möglichkeit, ihn in Sicherheit zu wissen, und das war die Abgabe an ein Waisenhaus.«
»Warum haben Sie ihn nicht ganz normal zur Adoption freigegeben?«, fragte Mutter Franziska.
»Das wäre ein längerer legaler Prozess gewesen. Aber ich war damals genötigt, mich für einige Zeit aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen, wenn ich es einmal so ausdrücken kann. Deshalb kam diese Alternative für mich nicht infrage.«
»Ich verstehe. Oder besser: Ich verstehe nicht.«
»Ich kann es hier nicht näher erklären. Sie müssen mir einfach glauben, dass ich mein Kind nicht weggegeben hätte, wenn es
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