Rebellen der Ewigkeit
eine andere Möglichkeit gegeben hätte.«
Wieder nickte Mutter Franziska. »Selbst, wenn ich Ihnen glaube, bedeutet das nicht, dass ich Ihnen Auskünfte über Ihren Sohn geben darf. Zumindest nicht ohne seine Zustimmung.«
Sarah Pahlen setzte sich wieder. Ihr Gesicht nahm einen berechnenden Zug an. Berechnung! Genau das war es, was Mutter Franziska vorhin bei der Frau gespürt, aber nicht zu benennen vermocht hatte.
»Ich habe Ihrer Bemerkung vorhin entnommen, dass es finanziell nicht so gut um Ihren Orden steht.«
Die Oberin zog die Augenbrauen hoch. »Und?«
»Nun, ich verfüge über gewisse Mittel. Ich könnte mir vorstellen, einen Teil davon für Ihr Waisenhaus zu spenden. Vielleicht hunderttausend?«
Mutter Franziska musste schlucken. Das war für den Orden ein unvorstellbar hoher Betrag. Schwester Antonia würde alle geplanten Reparaturen durchführen können und sie würden sogar noch eine kleine Rücklage bilden können.
Sie kniff die Augen zusammen. »Sie wollen mich bestechen.«
Ihre Besucherin schüttelte den Kopf. »Ganz und gar nicht. Ich werde diese Spende machen, egal, ob Sie mir etwas über meinen Sohn erzählen oder nicht. Schließlich haben Sie sich all die Jahre um ihn gekümmert, haben ihn versorgt und ihm eine Erziehung angedeihen lassen. Ich denke, hunderttausend ist ein angemessener Ersatz für die Kosten, die Ihnen durch ihn entstanden sind.«
Mutter Franziska wusste nicht, was sie denken sollte. Ihr Instinkt, der sie normalerweise nie im Stich ließ, versagte bei dieser Frau völlig. Auf der einen Seite war ihr Schmerz über die Weggabe ihres Kindes deutlich spürbar. Andererseits strahlte sie eine gewisse Kühle aus. Der Oberin war nicht klar, welche Ziele sie verfolgte. Wollte sie den Kontakt zu ihrem Sohn, um Wiedergutmachung zu leisten? Oder hatte sie ein anderes Motiv?
»Ich weiß Ihre Großzügigkeit zu schätzen«, sagte sie vorsichtig. »Ein solcher Betrag würde uns in der Tat sehr helfen.«
»Sehen Sie. Ich werde dafür sorgen, dass Ihnen das Geld noch heute überwiesen wird.«
Mutter Franziska seufzte unmerklich. Sie schickte ein kleines Stoßgebet zum Himmel. Durfte sie ein weltliches Gesetz übertreten, um den Fortbestand des Ordens zu sichern? Sie dachte an die Kinder in ihrer Obhut und an das Schicksal, das ihnen bei einer Schließung des Waisenhauses bevorstand.
Dann fällte sie ihre Entscheidung.
»Willis ist ein ganz außergewöhnlicher Junge ...«
»Willis?«, unterbrach sie die Frau. »Er heißt also Willis?«
Die Oberin nickte. »Willis Porrs. Und bevor sie jetzt fragen, wo dieser merkwürdige Name herkommt: Er trug ihn schon, als er bei uns ankam. Er klingt ebenso falsch wie Ihr Name.«
Sie lächelte scheinheilig. Diesen kleinen Seitenhieb hatte sie sich nicht verkneifen können.
»Touché«, erwiderte ihr Gegenüber.
»Entschuldigen Sie.« Mutter Franziska senkte den Blick. Wie hatte sie sich nur so gehen lassen können? Das war doch nur der Ärger darüber, dass diese Frau sie dazu gebracht hatte, mit ihren Prinzipien zu brechen.
»Nein, Sie haben recht. Ich heiße tatsächlich nicht Pahlen. Aber es könnte Sie in Gefahr bringen, wenn ich Ihnen meinen wirklichen Namen verrate.«
Die Oberin sah ihre Besucherin scharf an. »Gilt das auch für Willis?«
»Nein, gewiss nicht. Ich versichere Ihnen, die Sicherheit des Jungen hat für mich oberste Priorität.«
»Nun gut, ich will Ihnen glauben.« Erneut wusste Mutter Franziska, dass sie sich selbst betrog. »Ich habe selten einen Zögling gehabt, der einen so scharfen Verstand besitzt. Leider hat das nicht dazu geführt, dass Willis die Schule beendet hätte. Oder vielleicht war es gerade deswegen. Er hatte keine Probleme, dem Unterricht zu folgen, sondern war eher unterfordert und eckte mit seinen Beiträgen und Vorschlägen immer wieder bei den Lehrern an.«
»Er hat die Schule also vorzeitig verlassen?«
Mutter Franziska nickte. »Ich konnte ihn nicht davon abhalten. Sie müssen wissen, Willis ist ein ausgesprochen selbstständiger Charakter. Er hat sich sehr schnell innerlich von uns abgenabelt. Als er dann sechzehn Jahre alt war, wollte er diesen Schritt auch äußerlich vollziehen. Ich hätte es ihm verbieten können, habe mich aber anders entschieden.«
»Wollen Sie damit sagen, dass Willis ausgezogen ist?«
»Vor etwa einem Jahr. Er brauchte eine Sondergenehmigung der Erziehungsbehörde, die ich ihm verschafft habe. Ich war davon überzeugt, er würde es allein schaffen, und ich habe mich
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