Rebellen: Roman (German Edition)
zusammen, der Wärme und wohl auch damit, dass er allein in diesem winzigen Paradies saß und sich ganz auf sich konzentrieren konnte. Nie, nie, nie, sagte er leise voll kindlicher Inbrunst, nie werde ich diesen Moment vergessen.
Und nun, mehr als drei Jahrzehnte später, hockte er in seinem blauen Toyota und starrte hinüber zum Eingang des Supermarktes. Um halb zehn Uhr abends. Draußen war es endlich finster. Der Sommerregen hatte ausgedehnte Pfützen auf dem Parkplatz hinterlassen, in denen sich das Licht der Reklame und des riesigen Schaufensters spiegelte. Seit einer Stunde saß er im Wagen und zählte die Kunden, die so spät noch schattengleich durch die Eingangstür huschten. Achtzehn zählte er. Achtzehn Kunden. An der Kasse würde keine lange Schlange stehen. Wenig Personal, dachte er, so spät am Abend. Er konnte es wagen. Verdammt noch mal, er konnte es wirklich wagen.
Und ich werde es schaffen.
Trotzdem blieb er sitzen. Vom Bauch her kroch eine unbestimmte Angst nach oben, nistete sich in seinem Solarplexus ein, seiner Angststelle, wie er sie nannte. Er spürte den Druck deutlich, wie er wuchs, nicht so stark wie damals, natürlich nicht, aber doch so, dass ihm das Atmen schwerer fiel.
Und, merkwürdig, genau in diesem Augenblick dachte er an das Versteck am alten Forstweg. Er fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht, aber das Bild blieb. Er kniff die Augen zusammen, wie er es damals getan hatte, und er erinnerte sich genau an den Forstweg, der bergauf ging, an der Hütte vorbei, die die Verbindungsstudenten im Winter als Quartier für ihre Skiausflüge nutzten, dann kam das Haus mit dem kleinen Turm, das früher einmal eine Pelztierzucht gewesen war, und dahinter schließlich bog der alte Forstweg in den Wald ein. Nach fünfzig Metern schlug man sich rechts durch die jungen Fichten und war dann gleich an dem Versteck. Er erinnerte sich an den kleinen Jungen, der er einmal gewesen war, daran, wie er sich fest vorgenommen hatte, diesen Augenblick nie wieder zu vergessen. Nur das Gefühl, das ihn damals überwältigt hatte, das konnte er nicht mehr in sich wachrufen. Er hatte es verloren.
Aber all das durfte jetzt keine Rolle spielen.
Action Jackson, sagte eine innere Stimme. So hatte es der kleine verrückte Texaner vor jedem Einsatz gesagt. Action Jackson. Und dann war es losgegangen. Jetzt war Jackson tot.
Mit einem Griff löste er den Sicherheitsgurt, öffnete die Autotür, stieg aus. Er schloss nicht ab. Es widerstrebte ihm, den Wagen offen zu lassen, fast machte es ihn wütend, aber es musste sein. Dann ging er langsam und steif auf die Tür des Supermarktes zu. Der Druck in seinem Bauch wuchs.
Drinnen nahm er sich einen dieser metallenen Einkaufswagen, für den er ein Eurostück in eine Box stecken musste, die am Haltegriff angeschweißt war. Erst dann löste sich der Wagen von den anderen. Er zog ihn am Haltegriff aus der Reihe und schob ihn langsam durch die Abteilung mit dem Frischgemüse, dann in die erste Regalreihe.
Kein Mensch zu sehen.
In dem Regal lagen Salzstangen, Nüsse, Käsegebäck und Kekse.
Vorsichtig nahm er eine Tüte mit Kartoffelchips aus dem untersten Regal. Der Plastikbeutel knisterte so laut, als er ihn in den Wagen warf, dass er sich umsah. Niemand schien etwas gehört zu haben.
Jetzt war er ganz wach.
Adrenalin schoss durch seinen Körper. Er kannte das. Das Gefühl, hellwach zu sein, genau zu sehen, alles zu hören.
Nichts blieb einem verborgen.
Entschlossen schob er den Wagen durch den Gang mit den Konserven. Mein Gott, hatte er die Konserven gehasst. Jeden Tag. Ravioli, Leberwurst, Pumpernickel, Erbsensuppe.
Konservenfraß hatten sie bekommen. Jeden Tag Konservenfraß.
Er schob den Wagen schneller. Italienische Nudeln. Barilla, Spaghetti, Makkaroni, Tagliatelle, Fusilli. Dann ein Regal mit Gewürzen, Pfeffer schwarz, Pfeffer weiß, Curry, Rosmarin, Thymian. Schließlich die erste Kühltheke: Milch, Südmilch, Bergbauernmilch, Sahne, Crème fraîche.
Er schnappte einen Karton Vollmilch aus dem Regal und warf ihn in den Wagen. Der Karton platzte am Kopfende. Ein Tropfen Milch platschte auf den Boden. Dann noch einer.
Er wendete den Wagen.
Platsch.
Jetzt schnell zur Kasse.
Platsch.
Noch ein Tropfen Milch.
Vorbei an Mehl, Gebäckmischungen, Fleischtheke, Käsetheke.
Ein Mann stand vor den Spirituosen, eine Flasche Fernet in der Hand. Studierte das Etikett.
Er rempelte ihn mit dem Wagen an.
Der Mann fluchte.
Er fuhr weiter. Rechts der Eingang zum
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