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Rebellen: Roman (German Edition)

Rebellen: Roman (German Edition)

Titel: Rebellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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gewählt, und die Sitzungen nahmen nun überhaupt kein Ende mehr.
    Es war Wahnsinn. Selbstbeschäftigung. Hoher Einsatz, um die Arbeiterklasse zum Kämpfen anzuregen.
    Aber die dachte nicht an Kampf.
    Paul zuliebe traten Reintraud und ich dieser Verteilergruppe bei. Wir sollten morgens ab halb sechs Uhr Flugblätter bei Intermetall verteilen und dann mit Reintrauds R4 vors Werkstor von Heppeler fahren. Um der Arbeiterklasse eine kleine Freude zu gönnen, zog Reintraud sich ihre wirklich sehr sexy aussehenden Hotpants an, und ich zwängte mich in den kürzesten Rock, den ich hatte.
    Wir fanden, dass wir einen guten Auftritt vor dem Werkstor hatten. Die Flugblätter wurden uns aus der Hand gerissen, die Arbeiterklasse war sehr freundlich und interessiert. Als Paul verschlafen wie immer angetrabt kam und uns sah, musste er lachen, und er küsste mich.
    Todmüde, aber glücklich fuhren Reintraud und ich ins Café Ruef und bestellten Laugenbrötchen und Kaffee. Da tauchte Ernst auf. Was uns einfiele, in diesem Aufzug vor der Arbeiterklasse zu erscheinen. Wir sagten ihm, er solle sich abregen, unser Auftritt sei ein voller Erfolg gewesen. So viele Flugblätter wie heute seien noch nie aufs Werksgelände gelangt. »Die Arbeiter denken, wir schicken ihnen jetzt Nutten«, schrie er. Dieser Satz hätte von meinem Vater stammen können. Ich stand auf und schüttete ihm mein Wasser ins Gesicht. Reintraud und ich verteilten nie wieder Flugblätter vor Werkstoren.

    Alles änderte sich, als die Bauern am Kaiserstuhl gegen das geplante Kernkraftwerk in Wyhl demonstrierten.
    Das war etwas anderes als die Freiburger Demos: Männer um die fünfzig mit wettergegerbten Gesichtern, kräftige Bauersfrauen mit entschlossenen Mienen, Traktoren, die Kippschaufeln und Dungzangen drohend in die Luft hoben. Als die Demo schweigend losmarschierte, setzte plötzlich aus einem Lautsprecherwagen die Mundharmonika aus Spiel mir das Lied vom Tod ein.
    Wir alle bekamen Gänsehaut, Paul, Alexander und ich.
    Wir fuhren jede Woche an den Kaiserstuhl, sammelten Unterschriften zur Unterstützung der Bauern. Am Institut unterschrieb erstaunlicherweise der Professor für Parapsychologie als einer der Ersten auf meiner Liste. Paul tat sich in seiner Gewerkschaft schwerer. Es entstünden dann doch Arbeitsplätze, argumentierten vor allem die Älteren. Strunz sah sich wieder einmal bestätigt, dass die Arbeiter eigentlich rückständig seien.
    Als der Bauplatz gestürmt wurde, waren Paul und Alexander bei den Ersten, die über die von den Traktoren niedergerissenen Bauzäune stürmten.
    Wir hatten gewonnen.
    Es kamen andere Kämpfe. Die Freiau, das Dreisameck, aber da war Alexander schon nicht mehr dabei.

61. Alexander
    Es war an einem Montag, Alexander saß in der Bibliothek des Instituts für Soziologie und schrieb an seiner Diplomarbeit, als er ins Sekretariat gerufen wurde. Ein dringender Anruf, sagte Frau Muklin und hielt ihm den Hörer entgegen.
    »Komm sofort nach Hause«, sagte Maximilian, »es ist etwas passiert.«
    Frau Muklin lieh ihm das Geld für das Taxi.
    Als er vor seinem Elternhaus ausstieg, kam mit schnellen Schritten Frau Ebersbach angelaufen, Tränen liefen ihr die Wangen herunter, und sie wischte sie nicht weg.
    »Was ist passiert?«
    Sie sah ihn an und antwortete nicht.
    Im Haus waren alle Vorhänge zugezogen.
    »Gut, dass du kommst«, sagte seine Mutter.
    Sie saß im Dunkeln in einem Sessel.
    Sie rauchte nicht.
    Dann erhob sie sich schwerfällig, nahm ihn an der Hand, zog ihn ins Elternschlafzimmer. Der Vater lag mit offenem Mund auf seinem Bett, die Augen geschlossen. Er hatte seinen grauen Anzug an, die Krawatte umgebunden, fast sah er aus wie immer, aber etwas an seinem Gesicht war anders, merkwürdig entgleist. Alexander wusste sofort, dass er tot war.

    Auf dem Stuhl neben dem Bett saß Maximilian; tränenüberströmt hielt er die Hand des Vaters. Als er für einen Augenblick zu seinem eintretenden Bruder aufsah, glaubte Alexander für einen kurzen Moment, ein triumphierendes Lächeln in seinem Gesicht zu sehen.
    Alexander verachtete seinen Bruder mehr als je zuvor.
    Er setzte sich aufs Bett und betrachtete seinen toten Vater.

Ende
Was wirklich wichtig ist
    Es geht nicht um ein Stück vom Kuchen,
    es geht um die Bäckerei.
    Graffito

62. Toni
    Ziemlich lang habe ich den Fehler gemacht, mir aus beiden Männern den einen, den idealen, backen zu wollen.
    Alexander, der bald viel Geld verdiente, wusste, dass ich Paris liebte. Er lud

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