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Rebellen: Roman (German Edition)

Rebellen: Roman (German Edition)

Titel: Rebellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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beiden daran, mich aufzugeben.
    Gott sei Dank.

58. Toni
    Auch die Begeisterung von Paul und Alexander für Mao und China verstand ich nie.
    Der Mao-Kult, diese lächerlichen Peking-Opern: Der Osten ist rot/ und China ist jung/ Lang lebe/ Mao Tse-tung, die absurden Geschichten, dass Bauern riesige Tomaten und Mohrrüben ernteten, weil sie den Stecklingen lange genug die Weisheiten des Großen Steuermanns vorgelesen hatten, die schrecklichen Aufmärsche, in denen der Einzelne noch nicht mal ein Rädchen im Getriebe war, der peinliche Personenkult um Mao, Zhou Enlai und wie diese alten Männer alle hießen – mich stieß das ab.
    »Du musst verstehen«, erklärte mir Alexander, »China ist ein Land mit Millionen von Analphabeten. Die brauchen, um zu begreifen, Bilder und Ikonen.«
    »Ist das nicht eher die Methode der Religionen? Ikonen?«
    Wir konnten uns in diesem Punkt nicht einigen.
    Ich erinnere mich an den Tag, als Hubert Delius sich zu uns an den Tisch in der Harmonie setzte. »Wisst ihr schon, dass in Freiburg chinesische Genossen studieren? Sie wohnen im Ulrich-Zasius-Haus. Sie studieren Mathe, Physik und Chemie.«
    Das war nun eine echte Sensation. Rotchinesen, so nannte man damals die Bewohner der VR China, Rotchinesen in Freiburg.

    »Chinesische Genossen«, sagte Paul. Er wollte sie unbedingt kennenlernen.
    Hubert wusste nicht, ob sie Deutsch sprachen, kannte aber jemanden, der sie Französisch sprechen gehört hatte. Also brauchte Paul einen Dolmetscher, und der war ich.
    So radelten Paul und ich an einem Samstagmorgen in Richtung Stühlinger und stellten die Fahrräder vor dem UZH ab. Die Chinesen, so hatte Hubert uns erzählt, wohnten im vierten Stock. Paul hatte kleine hektische Flecken im Gesicht, er war nervös, als stehe er vor einem entscheidenden Rendezvous, und vielleicht war es ja auch so. Also stiegen wir in den Aufzug und hielten im vierten Stock. Dort gingen wir vorsichtig durch die Gänge.
    Kein Chinese war zu sehen.
    Wir liefen einmal durch das ganze Stockwerk. Es war still, kein Mensch begegnete uns. Paul klopfte an eine Tür.
    Tatsächlich hörte man ein Schlurfen, dann wurde ein Schlüssel zweimal im Schloss gedreht, und die Tür öffnete sich einen Spalt weit. Dahinter schaute das Gesicht einer jungen Chinesin hervor. Schöne mandelförmige Augen. Sie hatte schwarze Haare, die sie zu zwei Zöpfen gebunden hatte.
    »Guten Tag«, sagte Paul.
    , sagte die junge Frau.
    Ich stand hinter Paul, als er sich zu mir umdrehte, sah ich seine verwirrte Miene.
    Ich fragte sie auf Französisch, ob sie Französisch spreche.
    Sie antwortete auf Deutsch: »Nicht besonders gut, nein.«
    Paul lachte übers ganze Gesicht: »Genossin, du sprichst Deutsch. Das ist wunderbar. Wir sind deutsche Kommunisten. Wir bewundern die Kulturrevolution, und wir möchten dich einladen, auf einer Veranstal…«
    Die Tür knallte zu, und Paul war verblüfft.
    Am Abend schrieb er das Erlebnis in sein braunes Tagebuch. »Damit ich nichts vergesse«, sagte er.

    Wir versuchten es ein zweites und ein drittes Mal. Aber immer, wenn wir die jungen Chinesen trafen und Paul mit seinem Loblied auf die Kulturrevolution anfing, verschwanden sie blitzschnell in ihren Zimmern. Paul verstand die Situation nicht. Und ich – ehrlich gesagt – auch nicht.
    Aber es war nicht zu übersehen, dass die chinesischen Genossen nichts mit den deutschen Kommunisten zu schaffen haben wollten.
    Paul brabbelte etwas von Internationalismus.
    Mir war es egal. Aber für Paul war es schlimm.
    Im Programm des Kommunistischen Bundes Westdeutschland galt die chinesische Kulturrevolution als der endlich gefundene, ideale Weg, mit dem verhindert werden konnte, dass nach einer gelungenen Revolution der Kapitalismus sich wieder festsetzte, wie in der Sowjetunion und im Ostblock. Die Revolution in Permanenz, wie Mao sie predigte, schüttelte oben und unten immer wieder durcheinander, sodass sich eine neue herrschende Ausbeuterklasse nicht entwickeln und festsetzen konnte.
    So weit die Theorie.
    Wir erörterten mit Alexander, warum die chinesischen Genossen nicht mit uns reden wollten.
    »Wahrscheinlich«, sagte Alexander, »ist es so: Die Genossen wollen sich nicht in die Politik in Deutschland einmischen, sondern möglichst schnell das Studium beenden, damit sie dann zurückgehen können, um aktiv am Aufbau des Sozialismus teilzunehmen.«
    Paul nickte, nicht überzeugt. »Aber sie könnten doch wenigstens ein Bier mit mir trinken und erzählen, wie es sich im

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