Rebellen: Roman (German Edition)
mich oft ein, und wir flogen von Basel aus zum Flughafen Charles de Gaulle. Mal gingen wir zu einem Stones-Konzert, dann führte er mich in die Oper. Ich hatte damals ein langes rotes Kleid aus Seide, das sich weich und angenehm an meinen Körper schmiegte. Wenn wir danach die geschwungene Treppe der Pariser Oper herunterstiegen – ich erinnere mich an einen warmen, frühen Sommerabend –, fand ich das erotisch aufregend. Alexander hatte meist einen Tisch im Café de la Paix reserviert, er winkte einen Kellner heran, und der führte uns an unseren Fensterplatz. Ich aß Austern. Ich mag Austern, weiß der Teufel, warum. Vor allem schmecken sie mir in Paris. Wenn ich mit Alexander im Café de la Paix saß, aß ich manchmal zwanzig davon. Mit Zitrone beträufelt. Herrlich. Unseren vegan orientierten Kindern darf ich das heute gar nicht mehr erzählen, die wenden sich angeekelt ab, aber damals – ich fand es großartig. Der Kellner stellte eine Flasche Champagner in einem silbernen Kühler neben unseren Tisch. Alexander sah mir liebevoll und ein wenig nachsichtig dabei zu, wie ich die Berge von Austern verzehrte.
War das Wetter gut, spazierten wir noch ein wenig den Boulevard des Capucines hinauf und verschwanden dann in einer Suite des Paris Le Grand, wo ich mich den kundigen Händen Alexanders überließ.
Warum auch immer, heute kann ich es nicht mehr nachvollziehen, aber damals dachte ich mir nichts dabei. Jedenfalls einmal wollte ich das mit Paul auch erleben. Wir fuhren mit dem Zug nach Karlsruhe und wechselten dort in den TGV . Paul zauberte eine Flasche Rotwein aus seinem Rucksack, dazu Käse und Brot, wir tafelten, und ehe wir uns versahen, standen wir im Gare de l’Est. Am Nachmittag ging ich mit ihm ins Café de la Paix; ich hatte dort den gleichen Tisch reservieren lassen, an dem ich sonst mit Alexander saß.
Es war schrecklich.
Es war schrecklich zu sehen, wie unglücklich mein geliebter Paul in dem Restaurant mit den goldenen Tapeten und den Palmen war. Hob Alexander nur eine Augenbraue, standen fünf Kellner um ihn herum; Paul konnte mit den Fingern schnippen, so viel er wollte, sie übersahen ihn.
Paul schrumpfte vor meinen Augen. Dieser große Mann wurde klein und immer kleiner. Ich versuchte die Situation durch Munterkeit zu überspielen, aber wir kannten uns zu gut. Ich konnte ihm nichts vormachen.
Irgendwann legte er die Serviette auf den Tisch und zog mich an der Hand hinaus ins Freie. »Wir müssen in die Seitengasse der Seitengasse.«
Er zog mich in das Gewühl der Straßen hinein, und schließlich saßen wir in einer kleinen Kneipe an einem Holztisch, tranken den herben Rotwein des Hauses, uns gegenüber saß ein junges Paar aus Limoges, das sein Glück in der Hauptstadt versuchte; sie Schauspielerin, er Computermensch. Als sie gegangen waren, setzte sich der Wirt an unseren Tisch, seine Frau brachte Brot, ein Steak tartare und eine neue Karaffe Rotwein. Als wir gingen, hielten wir uns an den Händen, sprangen durch die nächtlichen Straßen und liebten uns bis zum Morgen.
Beim nächsten Parisbesuch mit Alexander zog ich ihn in die Seitengasse der Seitengasse. Ich fand das Bistro nicht mehr, in dem ich mit Paul gewesen war, aber ich sah ein anderes, das mir gut gefiel. Aber Alexander fand die Rotweinringe auf dem Tisch nicht so pittoresk wie ich, er sah heimlich auf die Uhr, war unfreundlich zu mir und zum Wirt. Am nächsten Tag saßen wir wieder im Café de la Paix, ich aß zwanzig Austern, und alles war gut.
Paul wollte mir sein Paris zeigen. Er legte Wert darauf, dass er die Reise bezahlte, und so wohnten wir in einem winzigen Zimmer in einer Pension in der Rue de Rivoli. Die Dusche war so eng, dass ich jedes Mal, wenn ich mich umdrehte, mit dem Hintern den Heißwasserhebel aufdrehte und aufpassen musste, dass ich mich nicht verbrühte. Paul hatte zwei Stadtführungen gebucht, eine auf den Spuren der Großen Französischen Revolution und eine auf denen der Revolution von 1848. Wir liefen über den Friedhof Père Lachaise und besuchten Balzac, Gilbert Bécaud, Blanqui, Börne, die Piaf, Casanova, die Callas, Jim Morrison natürlich auch, aber länger blieben wir bei Chopin und Oscar Wilde.
Am Abend zogen wir in den Jazzklub Le Duc des Lombards und sahen ein hinreißendes Konzert mit drei Musikern, deren Musik Paul mir unbedingt vorstellen wollte: Charlie Mariano, Philip Catherine und Jasper van’t Hof; Saxofon, Gitarre und Piano. Ich habe selten etwas Schöneres gehört; diese drei
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