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Rebellen: Roman (German Edition)

Rebellen: Roman (German Edition)

Titel: Rebellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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Sozialismus lebt.«
    Er war enttäuscht – keine Frage.
    Dann vergaßen wir die Sache, und die einzige Folge dieser Episode war, dass Paul an der Volkshochschule Französischstunden nahm.

    Viele Jahre später traf ich Paul in Stuttgart. Wir wollten zusammen mit dem Zug nach Freiburg fahren und hatten noch etwas Zeit. So schlenderten wir vom Bahnhof aus die Königstraße hinauf. Wir hatten uns eine Weile nicht gesehen, und ich erzählte ihm irgendetwas, ich weiß nicht mehr was, wichtig war für mich nur, dass wir hier in der Sonne zusammen entlanggingen.
    Plötzlich, auf der Höhe des Königsbaus, merkte ich, wie Paul steif wurde. Ich sah zu ihm, aber er blickte starr in die andere Richtung, auf ein eisernes Rondell. Dort saßen chinesische Studenten, nicht viele, vielleicht zehn oder zwanzig. Sie hielten selbst gemalte Plakate in die Höhe: »Verurteilt das Massaker auf dem Tian’anmen-Platz!«
    Wir dachten beide das Gleiche. Wir sahen uns beide durch die Flure des Ulrich-Zasius-Hauses schleichen, und wir sahen die verängstigten Gesichter der damaligen jungen Chinesen. Diese hier in Stuttgart wagten sich in die Öffentlichkeit, und Paul und ich verstanden in diesem Augenblick, wie viel Mut es ihnen abverlangte.
    »Mein Gott, war ich ein Idiot.«
    Ich nahm ihn an der Hand, und wir gingen still zurück zum Bahnhof.

59. Alexander
    Die Sitzung der Kommunistischen Hochschulgruppe hatte lange gedauert. Es war schon spät, als Alexander bei Toni klingelte. Sie öffnete ihm splitternackt.
    Sie küsste ihn auf den Mund. »Komm«, sagte sie und zog ihn in die Wohnung.
    In Tonis Bett lag Paul, Toni schlüpfte zu ihm unter die Decke.
    Alexander griff nach einem Gegenstand, um sich festzuhalten. Es war dummerweise der Ölofen, und ein sengender Schmerz brannte sich durch Zeige- und Ringfinger.
    Eifersucht ist bürgerlich, war der zweite Gedanke.
    Also sagte er nur: »Hallo, Paul.«
    Paul dachte wohl das Gleiche und antwortete ebenso uninspiriert: »Hallo, Alexander.«
    Ein Gespräch wollte nicht in Gang kommen.
    Toni versuchte die Situation zu retten, indem sie vorschlug, man könne zusammen in Webers Weinstube gehen.
    Doch auch dort wollte sich kein Gespräch entwickeln. Alexander erzählte, dass er einen Artikel für die Kommunistische Volkszeitung schreiben solle. Paul schwieg.
    Und so ging jeder kurz danach auf seine eigene Bude. Paul verstand nicht, was Toni geritten hatte, als sie Alexander reingelassen hatte. Alexander verfluchte Paul. Toni dachte, dass der Versuch, ihre Liebe zu beiden Männern offen zu leben, gescheitert sei. Die propagierte freie Liebe hatte offenbar ihre eigene doppelte Moral.
    Keiner von ihnen sprach diese Begebenheit jemals wieder an.

60. Toni
    Die Verwandlung von Paul und Alexander von Rebellen in revolutionäre Bürokraten vollzog sich unter meinen Augen, unaufhaltsam, Schritt für Schritt, und ich verzweifelte daran. Paul, der morgens um sieben Uhr schlaftrunken bei Heppeler antrat, verbrachte jeden Abend mit Sitzungen. Wirklich jeden. Einmal in der Woche traf sich die Betriebszelle Heppeler, das waren Paul, Strunz und Elli und der schreckliche Ernst als revolutionärer Antreiber. Sie gaben eine Zeitung im DIN -A4-Format heraus, die geschrieben und gesetzt werden musste, was meist Elli übernahm und sie das Wochenende kostete. Allein das regte mich maßlos auf.
    Damals fing es an, dass Paul manchmal stolperte und einmal sogar der Länge nach hinfiel, als ich mich bei ihm untergehakt hatte. Ich verlangte, dass er zu einem Arzt ging, aber er sagte, das sei nur revolutionärer Stress, und der sei positiv. Außerdem habe er keine Zeit. Da war richtig: Einmal in der Woche ging er zum Unterwandern in die Jugendgruppe der IG Metall, einmal in seine Schulungsgruppe, einmal traf sich der Ortsjugendausschuss, einmal die kommunistische Gewerkschaftsfraktion, einmal trafen sich die Zellenleiter verschiedener Betriebe. Immer wurde hart diskutiert, wurden Abweichungen von der revolutionären Linie festgestellt, Kritik und Selbstkritik verlangt.Hatte er mal eine freie Stunde, bastelte er an seinen seltsamen Lichtmaschinen, hantierte mit den Spiegeln im hinteren Teil seiner Wohnung.
    Alexander war genauso fanatisch.
    Er traf sich wöchentlich mit der Basisgruppe Soziologie und zweimal in der Kommunistischen Hochschulgruppe. Er war in der Verteilergruppe, die Flugblätter und Zeitungen vor Heppeler verteilte. Die traf sich ebenfalls wöchentlich, dann wurde er in die Ortsleitung seines maoistischen Klubs

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