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Rebellen: Roman (German Edition)

Rebellen: Roman (German Edition)

Titel: Rebellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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zur Revolution. Sie hatte keine Ahnung.
    Ich fühlte mich fehl am Platz auf dem großen Friedhof. Alexanders Mutter am Grab, voll stolzer Trauer, aufrecht, die beiden Söhne neben sich, Maximilian mit Elisabeth, rund und gemütlich, die richtige Frau für ihn, dann Alexander und ich. Das vornehme Freiburg versammelte sich hinter dem Sarg. Eine unübersehbare Schlange schwarz gekleideter Menschen, die mir die Hand drückten und mir Beileid wünschten zu einem Toten, den ich nicht gekannt hatte.
    Zum ersten Mal sah ich Alexander in einem Anzug. Er stand ihm gut. Er flüsterte mir zu, er spiele jetzt die Rolle des gut erzogenen Sohnes. Aber eigentlich müsste man die ganze Versammlung hier ins Volksgefängnis stecken.
    Auf der Fahrt zur Beerdigung gerieten wir in eine Polizeisperre und wurden durchgewinkt, wahrscheinlich wegen Alexanders schickem Anzug. Es war die Zeit der großen Jagd. Sie hatte für mich mit den Nachrichten von derVerhaftung von Andreas Baader, Jan-Carl Raspe und Holger Meins in Frankfurt begonnen. Ich hielt die RAF -Leute immer für verrückt. Ihre theoretischen Ergüsse, inhaltlich dünn und wirr und formal schon wegen der permanenten Kleinschreiberei kaum zu lesen, schickten sie in den Buchladen Libre libro in der Herrenstraße, wo ausgewählte Kunden sie lesen durften. Ich glaube, in meinem aufkeimenden Feminismus mochte ich das deutlich spürbare Mackertum (»Macho« sagten wir erst später) von Baader nicht. Vor allem lehnte ich Gewalt ab. Es war so unglaublich vermessen, sich herauszunehmen, über Leben und Tod zu entscheiden. Schleyer war ein alter Nazi. Sicher. Vielleicht ist er einer geblieben bis zum Schluss. Aber wenn die RAF alle alten Nazis hätte killen wollen – 1977 hätte das Massenmord bedeutet.
    Paul und Alexander lehnten die RAF auch ab, aber aus einem ganz anderen Grund. Es sei viel zu früh für den bewaffneten Aufstand, sagten sie. Die ganze Arbeiterklasse müsse zu den Waffen greifen. Pauls Freund Strunz, der ewige Skeptiker, sagte dann immer, wenn die Arbeiter bei Heppeler zur Waffe griffen, würde er sofort nach Frankreich fliehen.
    Alexander, Paul, Strunz und ich saßen in Alexanders kleiner Bude und starrten auf den Bildschirm, als die Tagesschau von der Verhaftung berichtete. Obwohl keiner von uns (wenn auch aus unterschiedlichen Gründen) ein Freund der RAF war, empfanden wir die Verhaftung der drei als Niederlage für uns alle. Ich sehe noch den mageren Holger Meins vor mir, nackt bis auf eine Unterhose, mit erhobenen Händen, und wie er dann von einem unglaublich feisten Polizisten abgeführt wird. Paul schaltete den Fernseher aus, wir saßen mindestens eine halbe Stunde da und schwiegen.
    »Die Revolution ist kein Deckchensticken«, zitierte Alexander dann Mao. Er meinte es halbwegs lustig. Aber es war nicht lustig.
    In den nächsten Jahren geriet ich sieben Mal in Polizeikontrollen. Sieben Mal sah ich in die Läufe von Maschinenpistolen. Sieben Mal sah ich einen nahezu gleich alten Milchbart am Abzug, zitternd vor Angst. Reintraud, die bei zwei Gelegenheiten neben mir saß, machte dann immer Witze. »Die Leiche liegt im Kofferraum«, Blödsinn dieser Art. »Warum nicht«, sagte sie, »wir haben doch nichts verbrochen.« Sie zogen sie dann sofort aus dem Auto, Hände aufs Dach, Beine auseinander, diese Nummer. Es war kein Spaß. Die Staatsmacht zeigte ihre Instrumente.
    Einer ganzen Generation.
    Uns.
    Sie zeigte eindrucksvoll, dass sie schießen würde.
    Bis hierher und nicht weiter.
    Ich glaube bis heute, dass es nicht nur um die paar Irren von der RAF ging. Einer ganzen Generation wurde die Grenze gezeigt. Und die wurde dann auch weitgehend akzeptiert.
    Danach kamen nur noch Lichterketten.
    Und inmitten dieses Wahnsinns starb Alexanders Vater.
    Sein Sohn zog einen guten Anzug an, konnte die Straßensperre passieren und reihte sich ein in die trauernde Familie.
    Und ich stand daneben.

65. Toni
    Am selben Abend fragte mich Alexander: »Willst du mich heiraten?«
    Ich lachte und sagte: »Nein.«

66. Alexander
    Alexander fuhr mit dem Fahrrad in die Firma. Die Schranke an der Pforte stand gerade offen, der Pförtner war nicht zu sehen, und so fuhr er mit einem eleganten Schwung auf den Hof, stoppte an der Rampe und stellte das Rad neben einer kleinen Treppe ab.
    Er war schon lange nicht mehr hier gewesen.
    Kein gutes Gefühl. Er mochte die Firma nicht. Maximilians Gebiet. Sie erinnerte ihn daran, dass er Kapitalistenbrut war.
    Steif stand er da.
    »Hey, du Penner,

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