Rebellen: Roman (German Edition)
schaff das Rad hier weg.« Ein Mann im blauen Arbeitszeug, verschmiert mit Ölresten und Metallspänen, stand an der Tür zur Produktionshalle 1.
»Stört Sie das Rad?«
»Das gehört nicht hierher. Die Radständer sind hinterm Pförtnerhaus.«
»Danke für den Hinweis. Aber: Stört das Rad hier?«
»Schaff es weg. Sonst landet es dort.« Der Mann wies mit dem Daumen auf den Container für Metallabfall. Drohend stieg er die Treppe hinab.
»Wo ist eigentlich jetzt das Büro meines Bruders?«
»Ferienjobber gibt’s in diesem Jahr nur im Versand. Und jetzt weg mit dem Rad. Das gehört hier nicht hin.«
»Maximilian ist kein Ferienjobber, soweit ich weiß.«
Der Mann verharrte inmitten der Bewegung und wurdeblass. Er deutete auf den Bürobau, ging rückwärts die Treppe hoch und verschwand in der Produktionshalle. Sicherheitshalber schob Alexander das Rad mit sich, lehnte es an das Firmenschild und schloss ab.
Maximilian war überraschend freundlich. Er hatte ihm die Bilanzen der Jahre im Besprechungszimmer aufgetürmt, die Gewinn- und Verlustrechnungen, die Quartalsberichte ans Finanzamt.
Sehr viel Papier. Papier, von dem er nichts verstand.
Nicht eine Zeile.
Er würde den Genossen Hubert Delius zu Hilfe nehmen. Hubert hatte das Studium bereits beendet und war als Volkswirt bei der Freiburger Sparkasse gelandet. Er langweilte sich dort zu Tode. Und wollte unbedingt zurück an die Uni.
Wenn die Zahlen marxistisch aufbereitet wären, würde ich’s verstehen. Profitrate, zum Beispiel.
Profitrate = Profit ./. eingesetztes Kapital
Dann könnte er diesen Wert mit den Profitraten vergleichen, die in der Blechschneidebranche üblich sind.
Mit der Firma Ditzinger.
Dann könnte ich Vaters Laden einschätzen.
Mutter wäre zufrieden.
Ich hätte ein nettes Thema für meine Promotion. Unternehmensbewertung nach marxistischen Kategorien am Beispiel der deutschen Blechmaschinenhersteller. Irgend so etwas.
Wäre doch nicht schlecht.
Er traf sich mit Hubert in der Harmonie. Hubert hatte ein Problem. Genau genommen zwei. Das erste Problem war der Genosse Ernst. Der wollte nämlich, dass Hubert Zahlen über die Kunden der Sparkasse lieferte, darüber, wie sie wirtschaftlich so dastanden. Die wollte er dann in den Flugblättern verwerten, die der KBW vor den Werkstoren verteilte.
»Dann bin ich meinen Job innerhalb einer Stunde los.«
Und damit waren sie beim Problem Nummer zwei. Hubert glaubte nicht mehr, dass er je wieder zurück an die Uni konnte. Die Assistentenstelle, auf die er scharf gewesen war, hatte ein anderer bekommen.
»So sieht’s gerade aus bei mir«, sagte er. »Vermutlich der Praxisschock«, fügte er hinzu. »Was ich bräuchte, wäre die Anwerbung eines wichtigen Kunden. Das würde meine Position in der Bank erst mal festigen. Die Firma deines Vaters zum Beispiel.«
»Die ist bei der Deutschen Bank.«
»Wenn ich die gewinnen würde, wäre das ein Paukenschlag bei der Sparkasse.«
»Hilf du mir, den Mist zu verstehen, den mein Bruder mir da aufgetürmt hat, und ich schaue, dass die Firma zur Sparkasse wechselt.«
Sie reichten sich die Hände und bestellten noch ein Rothaus.
67. Alexander
Eigentlich war es egal, ob sie die Zahlen marxistisch oder kapitalistisch interpretierten. Sie sagten in allen Fällen das Gleiche aus: Es stand schlecht um die Maschinenfabrik Weinmann. Ob Umsatzrendite oder Profitrate: Einmal waren es 1,3 und einmal 0,9 Prozent. Hubert fragte die Zahlen der Firma Ditzinger ab: 10,8 Prozent Umsatzrendite; der Umsatz selbst war zwanzig Mal so hoch wie bei Weinmann.
Alexander redete mit seinem Bruder.
»Das kannst du nicht vergleichen. Ditzinger kann Konturen schneiden, unsere Maschinen nicht.«
Ditzinger machte Extraprofit, weil seine Produktivkraft über dem Durchschnitt der Branche lag; Weinmanns Profit lag unter dem gesellschaftlichen Durchschnitt, wie Marx sagte, weil er rückständige Maschinen herstellte.
Alexander sprach mit den Konstrukteuren. Sie standen in sauberen Hemden und mit Schlips an ihren Brettern und hatten noch in ihrem Leben etwas anderes konstruiert als die Weinmann-Blechschneidemaschinen.
Herr Bergmann, der Nachfolger des Prokuristen Rieger, gerade vierzig geworden und damit neben Maximilian die jüngste Führungskraft, sagte ihm unumwunden: »Weinmann baut die Maschinen, bei denen Ditzinger nicht genug verdient. Wir kehren deren Abfall auf.«
Ditzinger baute Maschinen, mit denen die Kunden nicht nurrechteckige oder quadratische Formen schneiden
Weitere Kostenlose Bücher