Rebellen: Roman (German Edition)
konnten. Der Konkurrent baute Anlagen, die die unterschiedlichsten Formen aus dem Blech herausstanzen konnten, Kreise, Ellipsen. »Nibbeln« hieß das Verfahren, von dem Alexander zum ersten Mal hörte. »Ditzinger ist der Nibbel-König«, sagte Bergmann.
»Kriegen wir das auch hin?«, fragte Alexander.
Bergmann schüttelte den Kopf.
Die Eigenkapitalquote lag unter zehn Prozent. Eigentlich gehörte die Firma der Deutschen Bank.
Maximilian entgegnete ihm auf seine Fragen: »Das ist Vaters Erbe. Du kommst ein paar Tage her, zum ersten Mal in deinem Leben, und redest alles schlecht.«
Spätabends setzte er sich mit Hubert an einen Tisch in Webers Weinstube.
»Und? Bist du immer noch scharf darauf, Vaters Firma als Kunden für die Sparkasse zu gewinnen?«
»Schon. Aber der Befreiungsschlag, der mich in der Bank weiterbringt, wär’s nicht.«
Sie tranken ihren Gutedel und schwiegen.
Er musste mit der Mutter reden. Ohne Maximilian.
Es wurde ein langes Gespräch.
»Um ehrlich zu sein, es ist nicht sicher, ob du bis zum Ende deiner Tage in diesem Haus wohnen kannst. Es ist nicht sicher, ob die Firma dir weiterhin den Lebensunterhalt sichern kann. Irgendwann braucht niemand mehr unsere Maschinen, weil man sich lieber die von Ditzinger kauft, die schneiden nicht nur Quadrate und Rechtecke, die können auch Kreise und Ellipsen, jede geometrische Figur. Unsere Firma hat nicht das Geld und nicht das Personal, um solche Maschinen zu bauen. Es wird irgendwann vorbei sein mit Weinmann, ich weiß nicht, wann, vielleicht in zwei Jahren, vielleicht in fünf, vielleicht in zehn. Spätestens.«
Die Mutter hörte lange zu, nickte hin und wieder mit demKopf und rauchte. »Ich habe es mir fast gedacht«, sagte sie zum Schluss und drückte die Lord Extra aus. Dann sah sie ihn an. »Kannst du die Firma auf Vordermann bringen?«
»Nein. Ich verstehe nichts vom Blechschneiden. Ich gehe einen anderen Weg.«
»Aber du hast mir nach ein paar Wochen mehr über die Firma meines Vaters erzählen können als dein Vater und dein Bruder in all den Jahren.«
»Marxistische Theorie und soziologische Analyse, Mutter. Das liegt daran, dass ich weit genug davon entfernt bin, sodass ich klar sehen kann.«
»Dein Bruder, Alexander, ist ein guter Ingenieur. Er ist sicher fleißig. Er hat immer getan, was ihm aufgetragen wurde. Aber ihm fehlt der Überblick. Er macht die Dinge so, wie sie immer gemacht wurden.«
Sie kennt ihn besser, als ich vermutet habe, dachte Alexander.
»Ich möchte, dass du einen Weg suchst, die Firma zu retten. Nur den Weg. Du brauchst ihn nicht selbst zu gehen.«
Alexander dachte an seine Doktorarbeit und reichte seiner Mutter die Hand.
68. Alexander heute
»Dr. Esser ist gleich bei Ihnen«, sagte die freundliche Assistentin und zog die Tür hinter sich sanft ins Schloss.
Er kann bleiben, wo der Pfeffer wächst, dachte Alexander Helmholtz.
Warum hatte er das Mandat von Pauls Sohn angenommen, sein rotarischer Freund?
Aber: Paul war tot.
Paul, der die Ideale ihrer Jugend nicht aufgeben wollte.
Helmholtz rutschte auf seinem Stuhl hin und her.
Die Ideale der Jugend waren eine Fessel. Paul hatte sich davon nie befreit. Auch Toni ist noch darin verstrickt. Nicht so sehr wie Paul zu seinen Lebzeiten, aber immer noch viel zu sehr.
Einerseits sah er genau, was sie leistete. Er wachte in der Nacht auf, weil sie, die er mehr als alles auf der Welt liebte, mit den Zähnen knirschte. Ihre Backenzähne mahlten, kein schönes Geräusch. Er strich ihr dann im Schlaf sanft über die Wange, und sie entspannte sich, ohne wach zu werden.
Alles wegen dieser magersüchtigen Gören.
Er hatte sich mit ihrer Arbeit beschäftigt. Er hatte mit ihr die Erfolgsraten ihrer Therapie diskutiert.
Eine von fünf!
Rechnet sich das?
Fünf von fünf leisteten Widerstand gegen die Therapie. Siewaren nicht einmal dankbar, dass diese großartige Frau sich ihrer annahm. Sie belogen und betrogen sie. Stopften sich Steine in die Vagina, um ein höheres Gewicht vorzutäuschen.
»Wenn du ihnen nicht helfen kannst, warum suchst du dir keine einfacheren Patienten?«, hatte er sie gefragt. Mädchen, die schlecht in der Schule waren oder so etwas, etwas Einfacheres eben.
Das Funkeln in ihren Augen brachte ihn zum Schweigen.
Die Ideale der Jugend sind eine Fessel.
Ihm war das in diesem Moment klarer als je zuvor.
Es war normal, in jungen Jahren eine ideale Welt anzustreben. Man kannte die wirkliche ja noch nicht. Man kannte nur Bücher und Filme.
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