Rebellin der Nacht: Roman (German Edition)
wedelte übertrieben freundlich in Richtung des Stuhls gegenüber.
Als sie sich setzen wollte, trat ihr ein strammer junger Bursche, der bis jetzt unsichtbar gewesen war, von der Wand her in den Weg. Sie widerstand dem Drang, zurückzuweichen, doch er rückte ihr nur den Stuhl zurecht. Also setzte sie sich und sah den Duke über die schmale Tischplatte hinweg an.
»Wie ich sehe, haben Sie... interessantes Personal«, sagte Victoria nachsichtig, während der Herzog die Glocke läutete und ein rundgesichtiges Dienstmädchen mit einer Suppenterrine ins Zimmer geeilt kam. Es war das erstbeste, unverfängliche Thema, das ihr in den Sinn kam.
Die Untertreibung ließ ihn eine Augenbraue hochziehen. »Mein verstorbener Großonkel war ein verarmter Exzentriker. Ich habe seine Schulden und sein Personal geerbt.«
»Ich verstehe«, sagte Victoria, obwohl sie es nicht tat. »Sie finden es sicherlich sehr gemütlich, hier zu leben.« Sie kostete vorsichtig von der Suppe. Sie war einfach, aber nicht unangenehm. Ermutigt löffelte sie weiter.
Raeburn bekam einen harten Zug ums Kinn. »Ich bleibe nur so lange in diesem modrigen Trümmerhaufen wohnen, bis das Witwenhaus renoviert ist. Würde ich mich nicht meiner Familie verpflichtet fühlen, ich würde das alles mit Freuden weiter verfallen lassen, aber so werde ich vermutlich bald damit beginnen müssen, das Haupthaus wieder bewohnbar zu machen.«
Victoria sah erstaunt auf. Dass Raeburn das Haus ebenso wenig mochte wie sie, ließ ihn weit weniger unnahbar und bedrohlich erscheinen. Ein Eindruck, den schon die nächsten Worte zerstörten.
»Weswegen ich von Ihrem Bruder auch das Geld brauche.«
Er verspottete sie. Victoria sah es an der Art, wie er den Mundwinkel nach oben zog, und am Blitzen seiner unergründlichen Augen. Sie weigerte sich, den Köder zu schlucken, und wies ihn stattdessen auf seinen Denkfehler hin. »Sie wussten, dass mein Bruder über Jahre hinweg nicht die Mittel haben würde, Sie auszuzahlen, also konnten Sie auch nicht früher auf Geld hoffen.«
Raeburn lachte, und Victoria war überzeugt, dass er sich des sinnlichen Untertons, der sein Lachen durchdrang, bewusst war. »Wenn es nach Ihnen geht, braucht er sowieso nicht sofort zu zahlen, meine Liebe.«
Sie errötete und ärgerte sich, dass sie es tat. »Exakt«, geiferte sie und aß den Rest der Suppe schweigend. Aber sie konnte nicht anders, sie war sich der Nähe des Herzogs bewusst, der Art, wie er ihr beim Essen zusah und sich in ihre Richtung neigte. Seltsam, dass er ein Haus verlassen wollte, das so gut zu ihm zu passen schien. Trotz des zittrigen Gefühls in der Magengegend zuckten ihre Lippen bei der Idee, dass er das Witwenhaus »renovierte«, indem er es mit Staub, Moder und Spinnweben ausstaffierte.
Das Dienstmädchen kam mit Braten und irgendwelchem undefinierbaren Gemüse. Der Diener schnitt das Fleisch auf und stellte ihr schweigend einen Teller hin, auf den eine Portion gehäuft war, die weitaus größer war, als für einen zweiten Gang üblich.
»Das ist auch schon der Rest vom Abendessen«, erläuterte Raeburn und sah sie mit herablassender Miene an. »Wir essen hier schlicht.«
»Ich verstehe«, sagte Victoria und legte eine tiefe Bedeutungsschwere in die beiden Worte.
Das mondgesichtige Dienstmädchen knickste. Sie und der Diener zogen sich auf Raeburns Winken hin zurück und lie ßen die beiden allein.
Die Stille breitete sich aus, dünn und angespannt, durchbrochen nur vom Zischen und Knistern des Feuers. Raeburn suchte wieder mit viel zu vertraulichem Blick ihr Gesicht ab, auch wenn Victoria sich nicht vorstellen konnte, was er zu finden hoffte. Schließlich versuchte sie, der schieren Peinlichkeit wegen, ein neues Gespräch in Gang zu bringen.
»Erzählen Sie mir doch von der Geschichte des Herrenhauses, Euer Gnaden. Es wirkt so alt wie die normannische Eroberung.«
»Älter, auch wenn aus diesen Tagen nichts erhalten ist. Fragen Sie Fane, falls Sie das wirklich wissen wollen.« Er sah sie an, eine Gabel voll Fleisch in der Hand. »Ich würde mich gerne über interessantere Dinge unterhalten.« Er schob die Gabel in den Mund. »Über Sie, zum Beispiel.«
Victoria zwinkerte überrumpelt. »Ich versichere Ihnen, Euer Gnaden, an mir gibt es nichts, das für irgendjemanden von Belang sein könnte.«
Er gestikulierte mit der Gabel herum, bevor er den nächsten Bissen aufspießte. »Das ist genau das, was Sie alle glauben machen wollen.«
»Was soll das nun wieder
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