Rebellin der Nacht: Roman (German Edition)
einfach nur gespannt vor Erwartung, und das Wissen, dass Schicklichkeit hier fehl am Platz war, brachte eine sonderbare Erleichterung mit sich.
Victoria entspannte sich unwillkürlich, und er lachte leise und verheißungsvoll. »Das ist mein Mädchen«, murmelte er. Sie versteifte sich sofort wieder, und er lachte erneut. »Ihr zerbrechlicher Stolz muss beständig behütet werden, nicht wahr?«
»Auch nicht mehr als Ihrer«, schoss sie zurück.
»Touché!« Die Arme immer noch um sie gelegt, beugte er sich vor, bis die Stoppeln auf seiner Wange an ihrem Hals rieben. Victoria keuchte beinahe, als sein Atem warm und feucht auf ihre Haut traf. Aber er küsste sie nicht, wie sie es halb befürchtet hatte – und halb erhofft. »Kein Parfüm«, stellte er fest. »Nicht einmal ein Anflug von Toilettenwasser. Da ist etwas...« Er atmete wieder ein, tief und eine Haaresbreite von ihrer Haut entfernt. Victoria kämpfte gegen einen plötzlichen Anflug von Benommenheit. »Wie praktisch, Lavendel. Zweifelsohne, um die Motten von den Kleidern abzuhalten. Sie enttäuschen mich nicht.« Sie konnte seine Lippen mit jeder Silbe fast ihre Haut streicheln fühlen.
»Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wovon Sie sprechen«, sagte sie und hörte sich eher atemlos an als streng.
Er war ihr nah, so nah! Seine Handgelenke fühlten sich unter ihren Händen kräftig an, sein Körper sehnig und warm. Er erregte alte Begierden; Begierden, die Victoria lange ignoriert hatte, die aber nicht ignoriert bleiben würden.
»Ihre Verkleidung«, erklärte er. »Sie zeigt keine Risse – zumindest glauben Sie das. Die blutleere, nicht begehrenswerte Frau, die Sie spielen, betört die Männer nicht mit seltenen, exotischen Düften, also tragen Sie auch kein Parfüm. Meiner Erfahrung nach verursacht die Verzweiflung über das Alter allerdings Neigungen, die weit extremer sind als Düfte und Schminke.«
Raeburn senkte den Kopf um den Bruchteil eines Zentimeters, und seine Lippen kamen auf ihrem Schlüsselbein zu liegen, von dem der Ausschnitt des züchtigen Kleides kaum etwas freigab.
Victoria hielt den Atem an. Sie war angespannt, und ein warnendes Prickeln wanderte ihren Rücken hinauf, bis ihre Gliedmaßen schwer wurden. Bald würde der Mund sich bewegen – sie küssen, kosten, necken.
Doch nach langen Momenten der Reglosigkeit wich der Herzog zurück. Sie stieß ein kleines enttäuschtes Seufzen aus, während sich die Vorahnung tiefer in ihre Mitte bohrte und einen Schauer über ihre entflammte Haut jagte. Sie spürte alles mit exquisiter Feinfühligkeit – das raue Bürsten gestärkter Seide auf ihrem Arm, die groben Säume ihres Kleids, jedes einzelne Walbein in ihrem Korsett und jeden verwobenen Faden im Jackett des Herzogs, das sich unter ihren Händen wölbte. Vor allem aber spürte sie den Herzog selbst. Seine Hitze brannte durch die Kleider, die sie voneinander trennte. Wenn er lachte, fühlte sich der sanfte Atemhauch auf ihrer Haut wie Sturm an.
»Was Sie nicht wissen«, flüsterte er, »ist, dass alles Parfüm der Welt nicht erregender sein könnte als der unverfälschte Duft Ihres Fleischs.«
Er ließ sie los, und benommen wie sie war, hielt sie noch einen Augenblick seine Handgelenke umfasst, bevor sie begriff, dass sie frei war. Sie kam auf die Füße und stolperte über den kissenübersäten Boden an ein Fenster. Hinter ihr war das Geräusch eines Zunderholzes zu hören, und der Raum erhellte sich etwas.
Sie stützte sich auf den Steinbogen zwischen den bleigefassten Glasrauten. Sie konnte nichts sehen, spürte ihn nur heiß hinter sich, hörte, wie er sich mit dem Schritt eines Riesen näherte. Sie klammerte die Hände um den Stein und bog, einem obskuren Impuls folgend, den Kopf nach hinten in seine federleichte Berührung. Ihr Inneres zog sich zusammen, fest, wartend …
»Wovor haben Sie Angst?«, flüsterte Raeburn.
»Vor Ihnen habe ich keine Angst«, sagte Victoria gepresst. Sie drehte sich nicht zu ihm um.
Seine Hand glitt langsam ihren Hals hinab und blieb auf ihrem nackten Nacken liegen. Sie konnte ihn atmen hören, so schwer und schnell, als habe er gerade drei Stockwerke erklommen, nicht ein kleines Turmzimmer durchquert.
»Nein«, sagte er, und Victoria hörte einen sonderbaren Ernst heraus. »Nein, das haben Sie nicht. Aber Sie haben Angst.«
Seine Hand bewegte sich. Etwas drehte und lockerte sich, dann ein Lufthauch. Sie begriff, dass er den ersten aus einer langen Reihe von Knöpfen auf dem Rücken ihres
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