Rebellin der Nacht: Roman (German Edition)
außer Kontrolle. Ihr einziger Trost war, dass der Duke es scheinbar nicht hörte. Hätte er es gehört, hätte er ihr sicher längst einen seiner allzu wissenden Seitenblicke zugeworfen. Sie verfluchte sich insgeheim und versuchte, sich zusammenzunehmen. Sie war keine zarte Blume, keine errötende Debütantin, und sie hatte auch nicht das Recht, sich wie eine zu benehmen.
Noch verwirrender als ihr rebellierender Körper war Raeburns Nähe. Dicht an ihn gepresst, konnte ihr die muskulöse Härte seiner Seite und die beherrschte Kraft des Armes, der sie hielt, nicht entgehen. Er war attraktiv – und zutiefst beängstigend. Worauf hatte sie sich nur eingelassen?, fragte sie sich. Sie konnte schwerlich Unwissenheit oder Unerfahrenheit vorschützen, um diesen unerhörten Handel zu rechtfertigen. Bei jeder anderen Frau hätte sie ein solches Verhalten tollkühn genannt. Wie absurd, dass die Zurückhaltung, die sie jahrelang geübt hatte, so leicht zu erschüttern war. Freundlich, reserviert und clever – so kannte man sie. Aber welcher dieser Charakterzüge war für den wahnsinnigen Vertrag verantwortlich, der in diesem Moment in der Schublade ihres Nachttischs lag? Es ist der Sturm, sagte sie sich, während in der Ferne der Donner über die Hügel grollte. Stürme ließen sie immer kribbelig und sonderbar werden, als ob ihr die Haut zu klein, die Kleider zu eng seien.
Sie waren auf die Galerie getreten, und der Herzog hatte hinter ihnen die Tür geschlossen, was sie in absolute Dunkelheit stürzte. Auch wenn sich ihre Augen an die flackernde Düsternis des Speisezimmers gewöhnt hatten, konnte sie jetzt nicht den leisesten Umriss ausmachen. Doch Raeburn hielt nicht inne, um nach einer Kerze zu suchen – er verlangsamte nicht einmal seinen Schritt, sondern marschierte zuversichtlich durch die Schwärze, als sei er den Weg jahrelang blind gegangen, als sei er für die Dunkelheit geboren. Victoria umklammerte fest seinen Arm und versuchte, sich seinen Schritten anzupassen, um nicht blind gegen irgendein unsichtbares Hindernis zu laufen. Pervertiert und melodramatisch , sagte sie sich und verbot es sich, zurückzufahren, als plötzlich eine Statue vor ihr aufragte. Doch sie konnte nicht anders, als sich ungewohnt hilflos zu fühlen, während sie am Arm des Herzogs durch die Dunkelheit lief.
Raeburns Schritt änderte sich. »Treppe«, war alles, was er sagte, doch seine Stimme war ein samtenes Murmeln, das ihr einen Schauer den Rücken hinaufjagte, während sie den Fuß auf die erste Stufe setzte. Sie war nicht sicher, ob es dasselbe Treppenhaus war, das sie vor einer Stunde heruntergekommen war, doch sie war sicher, dass sie weit höher hinaufstiegen, als ihr Zimmer lag. Sie liefen durch eine Reihe von Zimmern – Victoria spürte im Gesicht die kalten Finger eines Luftzugs und weiten Raum, denn ihre Tritte hallten mit jedem Schritt hohler wider. Dann betraten sie einen Gang, der so eng war, dass ihre Röcke an der Wand entlangstreiften. Darauf ging es in enger werdenden Spiralen wieder nach oben, bis Raeburn abrupt stehen blieb.
Victoria hielt verunsichert, blind und atemlos inne. Sie hörte Stoff gegen Stoff streichen und begriff, dass Raeburn nach ihr griff, während ein Schloss klickte. In der Leere tauchte ein schnell größer werdender, grauer Schimmer auf, und das gedämpfte Geräusch des Regens kam näher. Der Schimmer entpuppte sich als Tür, und der Duke zog sie, bevor sie noch reagieren konnte, hinter sich hindurch.
Drinnen war die Dunkelheit um ein paar Schattierungen heller, und Victoria konnte das Rund der Wand ausmachen, die den Raum umschloss und von einem halben Dutzend breiten, mit einem Mittelpfosten versehenen Fenstern durchbrochen wurde. Raeburn ließ sie los, und sie schlenderte scheinbar gleichgültig an eines der Fenster. Der Sturm war zu einem wehenden Regenschauer geworden, durch den, etwa ein Stockwerk tiefer, die Dächer und Zinnen des Herrenhauses erkennbar waren, die aus der Höhe allerdings auch nicht schöner oder glücklicher arrangiert wirkten als aus der Ferne. Victoria betrachtete die romanischen Gesimse und die gotischen Wasserspeier, doch sie war nur mit halbem Herzen dabei – den Rest hielt der Herzog in Beschlag.
Sie hörte ihn mit schweren, sicheren Schritten durch den Raum gehen, während der Raum von Minute zu Minute heller wurde. Als sie sich umdrehte, warf er gerade ein paar Kohlen in einen kleinen Keramikofen. Im Schein des Feuers konnte sie die Möbel erkennen – ein
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