Rebellin der Nacht: Roman (German Edition)
von Mitgefühl in seinen Augen. »Ich werde Sie nicht verraten, Victoria. Sie können mir vertrauen.«
Sie machte den Mund auf und wieder zu, weil sie begriff, dass sie ihm tatsächlich vertraute, wie sonderbar das auch erscheinen mochte. Schließlich seufzte sie: »Sein Name war Walter. Er war der älteste Sohn eines Earls, und wir waren sehr verliebt – zumindest dachten wir, dass wir es seien.« Sie lächelte matt und schüttelte den Kopf. »Im Nachhinein erscheint es mir mehr wie eine Art selbstsüchtiger Verblendung.«
Raeburn fuhr mit dem Finger ihre Nase entlang und hielt auf der Spitze kurz inne. »Sie haben das geliebt, was Sie empfunden haben, wenn er Sie angesehen hat, Sie berührt hat, Ihnen ins Ohr geflüstert hat.«
Victoria sah reumütig zu ihm auf. »Sind diese jugendlichen Leidenschaften nicht alle gleich? Ich habe ihn geliebt, so gut ich konnte, vermute ich, aber ich fürchte, es war nicht die Art von Liebe, die es hätte sein sollen. Er war zwanzig und ich erst siebzehn. Und obwohl unsere Eltern Bedenken hatten, was eine Verbindung in so jungen Jahren anging, haben wir uns verlobt. Und nach der Verlobung... die Hochzeit war ja nur noch zwei Monate entfernt... Eltern neigen schließlich dazu, sich blind zu stellen, sobald eine Verlobung bekannt gegeben worden ist, also hat eines zum anderen geführt, und wir sind in jeder Hinsicht ein Liebespaar geworden. Wir haben uns im Garten getroffen, in Hinterzimmern, einmal sogar im Stall. Dann – es waren nur noch zwei Wochen bis zur Hochzeit – ist Walter auf einen der Landsitze geritten, die seiner Familie gehörten …«
»Und hat sich in eine andere Frau verliebt.«
Victoria schüttelte den Kopf. »So romantisch war es nicht. Er hat sich auf dem Rückweg eine Erkältung geholt, aus der eine Lungenentzündung wurde. Er ist am Tag, bevor wir heiraten wollten, gestorben.« Sie schnaubte. »Das Leben zerstört... wegen etwas so... Banalem, was meinen Sie? Ein tragischer Jagdunfall oder ein verrücktes Missgeschick in Übersee wären so viel passender gewesen. Aber mich hat eine Erkältung um mein Glück gebracht.«
»Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass Ihr Herz sich nie mehr erholt hätte.«
Sie lächelte bei dem Gedanken an ihr jüngeres Selbst. »Damals habe ich gedacht, ich würde es nicht überleben. Aber obwohl ich mit gebrochenem Herzen zurückblieb, so gebrochen wie ein selbstsüchtiges Herz es eben sein konnte, war die unauslöschlichste Konsequenz jener Liaison doch die unglückselige Tatsache, dass ich ein gefallenes Mädchen war.« Sie sah ihn geradewegs an. »Einen Monat nach seinem Tod hatte ich eine Fehlgeburt. Keiner hat je davon erfahren.«
»Und seitdem...«
»Die Rüstung, wie Sie es nennen. Ja. Ich habe mich, bis ich neunzehn war, nicht mehr in Gesellschaft sehen lassen, und sogar danach habe ich noch Trauerkleidung getragen. Ich habe um Walter getrauert, aber mehr noch – auch wenn ich es mir nie eingestanden habe – um mich selbst. Ich war jung und voller Kraft. Ich hätte schon in der nächsten Saison wieder lachen und tanzen können, aber ich hatte meine einzige Chance auf eine Verheiratung vertan, denn ich hatte ein Geheimnis: Ich war unverheiratet, aber keine Jungfrau mehr. Ich habe mich getröstet, indem ich mir eingeredet habe, tatsächlich Walters Witwe zu sein, die zusammen mit ihrem Gatten auch die Liebe begraben hatte, aber es gab noch eine weit hässlichere Wahrheit. Kaum ein Mann wollte mich noch haben, und ich hatte nicht den Mut, denen, die mich vielleicht noch genommen hätten, von meiner Verfehlung zu erzählen und damit vielleicht meinen Ruin zu riskieren. Und so wurde aus mir die alte Jungfer Wakefield.« Sie zuckte die Schultern. »An meiner Geschichte ist nichts tapfer oder glamourös, und vieles daran ist feige und kitschig, aber ich habe sie akzeptiert. Sie gehört zu mir.«
Raeburn folgte mit rauem Finger der Kontur ihres Kinns. »Und vermissen Sie ihn?« Seine Stimme hatte einen sonderbaren Unterton, bedauernd oder sogar schmerzvoll. Victoria legte den Kopf schief und sah zu ihm auf.
»Walter? Du meine Güte, nein. Er tut mir Leid, weil sein Leben so schnell enden musste. Aber was mich angeht?« Sie lächelte freudlos. »Er war ein guter Junge und wäre zu einem guten Mann geworden, aber wir waren beide zu seicht, um füreinander so tiefe Gefühle zu haben, dass lebenslange Trauer daraus hätte werden können. Er gehört zu einem anderen Leben, einem, das ich verloren habe. Ich habe seither
Weitere Kostenlose Bücher