Rebellin der Nacht: Roman (German Edition)
profitabel machen. Eine Frau, wenn auch vielleicht nicht Leticia, einen Erben. Sie haben die Kinderzimmer schließlich nicht grundlos eingerichtet. Sie wollen, was alle wollen – Glück.«
Seine Miene verdunkelte sich. »Und Sie halten mich nicht für glücklich?« Seine Stimme war ruhig, hatte jedoch einen drohenden Unterton, der Victoria noch vor zwei Tagen das Thema hätte wechseln lassen.
Aber jetzt nicht mehr. Sie hielt seinem Blick stand. »Nein, ich halte Sie nicht für glücklich. Und ich glaube nicht, dass Sie es je waren. Sie sind ein verletzter, einsamer Mann, und je mehr Sie es zu verbergen suchen, desto mehr betrügen Sie sich selbst. Sie sagen, Sie hätten das Witwenhaus für sich geplant, nicht für Leticia. Sie haben Ihre Pläne auf einen Traum vom häuslichen Leben aufgebaut, der so wenig mit Ihnen zu tun zu haben scheint, dass keiner, der jemals dachte, er kenne Sie, Sie je damit in Verbindung brächte. Und Sie werfen mir vor, mich selbst zu betrügen, wo ich doch nichts bin, verglichen mit Ihnen.«
Sie stand rastlos da. »Sie kennen meine Geschichte. Aber Sie halten die Ihre so tief in Ihrem Herzen verschlossen, dass ich sie nicht einmal annähernd ergründen kann. Seit nunmehr drei Tagen stellen Sie mir alle erdenklichen Fragen. Seit drei Tagen enthülle ich Ihnen mein Leben wie einen Kadaver, der auf dem Tisch eines Anatomen liegt. Jetzt ist Schluss damit.« Sie schüttelte den Kopf. »Ein einziges Mal habe ich Ihnen eine Frage von Belang gestellt, und ausgerechnet auf diese Frage verweigern Sie die Antwort. Wovor haben Sie Angst? Was hat die Welt Ihnen angetan – was konnte sie Ihnen antun? -, dass Sie lügen und sich verstecken müssen?«
Raeburn erhob sich und türmte sich vor ihr auf, sein Gesicht war derart von Gefühlen verzerrt, dass sie eine Sekunde lang fürchtete, er werde sie schlagen. Sie wich instinktiv zurück, fasste sich aber und reckte trotzig das Kinn vor.
»Dieses Mal werden Sie mich nicht zum Schweigen bringen.«
Seine Augen brannten förmlich. Doch sie hielt seinem finsteren Blick stand. Er machte den Mund auf und wieder zu, während an seinem Kinn die Muskeln zuckten. Einen Moment, nur einen Moment, schien er sich zu beruhigen …
Dann war der Moment vorüber. Er machte auf dem Absatz kehrt, drehte ihr den Rücken zu und ging zu den Pferden. »Es hat aufgehört zu regnen und wird schon heller. Wir müssen gehen.« Die Worte klangen heiser und gepresst. Victoria hätte am liebsten geschrien. Doch es gab nichts, was sie tun konnte.
Sie sackte geschlagen an die Wand, während Raeburn die Sattelgurte festzog. Sie hatte keine Macht über den Duke, stellte Victoria verbittert fest. Sie hatte nur einen Vertrag, einen windigen Fetzen Papier, der sie für eine Woche auf Raeburn Court festhielt. Sie hatte ihm erlaubt, Einfluss auf sie zu nehmen und ihre Geheimnisse zu enthüllen. Sie hatte gedacht, sie bedeute ihm etwas … Und wenn sie ihrerseits um etwas bat, bekam sie nichts zurück. Diese Woche war für ihn nur eine Ablenkung, in die er nichts investierte, das er nicht verlieren wollte.
Närrin! Sie wusste, sie hatte hundert schlimmere Schimpfnamen verdient, aber es war der einzige, der ihr einfiel. Närrin! Die Verbitterung schlug ihr auf den Magen. Sie hätte auf der Stelle gehen sollen, als der Duke ihr diesen lächerlichen Vorschlag gemacht hatte. Sie hätte Raeburn Court verlassen sollen, ohne sich noch ein einziges Mal umzudrehen.
Warum nicht jetzt? , dachte sie plötzlich. Warum konnte sie nicht gehen, wann immer sie wollte? Raeburn selbst hatte ihr die Wahrheit aufgezeigt. Sie konnte nicht so weitermachen wie bisher, und sie hatte es auch nicht vor, also warum hätte sie bleiben sollen? Sie hätte fast gelacht, so befreit fühlte sie sich. Ihr Bruder hatte den Schlamassel allein angerichtet – sollte er ihn auch allein ausbaden! Was sie anging, sie würde diese heruntergekommene Ruine von Herrenhaus samt des Herzogs mit der nächsten Postkutsche verlassen. Sie würde ihn verlassen und nie, nie, nie zurückschauen.
Die Vorstellung war so berauschend wie schrecklich. Sie stemmte sich von der Wand ab, und ihr war plötzlich schwindlig. Sie starrte Raeburn an, der ihr immer noch unerbittlich den Rücken zukehrte. Ihr Magen krampfte sich zusammen, und sie stützte sich an die Wand, weil ihre Knie plötzlich den Dienst zu versagen drohten.
Eine einzige Chance noch, sagte sie sich. Ich muss ihm noch eine einzige Chance geben.
»Ich stelle die Frage nur noch dies
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