Rebellin unter Feen
von oben. »Was für eine Waffe hat Bryony da?«
Hasenglöckchen beugte sich über das Messer, das Bryony noch umklammerte. »Ein seltsam geformtes Messer, Majestät. Es scheint aus Metall zu bestehen.«
»Metall? Was für ein Metall?«
Die Kammerdienerin berührte die Klinge vorsichtig und rümpfte angewidert die Nase. »Stahl, Majestät. Meiner Einschätzung nach ungefährlich.«
»Bring mir auch das Messer«, sagte die Königin. Nach einer Pause fügte sie hinzu: »Aber Bryony soll zuerst baden.« Sie zog ihren Kopf zurück und schloss das Fenster.
»Du hast Ihre Majestät gehört«, sagte Hasenglöckchen. »Komm.«
Einige Zeit später stieg Bryony hinter Hasenglöckchen das letzte Stück der Wendeltreppe zu den Gemächern der Königin hinauf. Sie trug den saubersten Kittel und die sauberste Kniehose, die sie auf die Schnelle hatte finden können. Ihr Arm war vom Handgelenk bis zum Ellbogen bandagiert.
Hasenglöckchen ging mit einer Laterne in der Hand den Gang entlang, und Bryony blickte verstohlen in die Zimmer, an denen sie vorbeikamen. Auf ein kleines Audienzzimmer mit einem scharlachroten Vorhang folgte ein privates Bad mit Armaturen aus poliertem Stein und einem Spiegel, der noch größer war als der von Winka. Das letzte und interessanteste Zimmer war eineBibliothek. Überall lagen aufgeschlagene Bücher und mit Notizen bedeckte Blätter, als sei die Königin mitten in einer wichtigen Arbeit unterbrochen worden. Nach der Bibliothek kam nur noch eine Tür, und die war zu. Hasenglöckchen blieb davor stehen und betätigte respektvoll den Messingklopfer.
»Herein«, rief die Stimme der Königin von innen.
Hasenglöckchen öffnete die Tür. »Bryony ist hier, Majestät.«
»Gut. Du kannst gehen.«
Die Kammerdienerin verbeugte sich und ging. Bryony blieb in der Tür stehen. Neugierig sah sie sich um. Das Zimmer erinnerte sie an das Haus der Menschen, doch waren die Möbel älter und auch schon ein wenig abgenutzt. Neben einem breiten Bett mit vier Pfosten standen ein Tisch und zwei kunstvoll bestickte Polsterstühle. Durch das Fenster, das doppelt so groß war wie die anderen Fenster der Eiche, hätte man direkt auf das Haus blicken können. Jetzt war es allerdings geschlossen, und die Vorhänge waren zugezogen.
An der gegenüberliegenden Wand stand ein Frisiertisch mit einem großen ovalen Spiegel. An ihm saß Amaryllis und kämmte sich die Haare. Sie blickte nicht auf, als Bryony nähertrat und einen Hofknicks machte, sondern kämmte sich in Ruhe zu Ende. Dann legte sie den Kamm weg, raffte ihren Morgenmantel um sich und drehte sich mit einer anmutigen Bewegung um.
»Was sollte das eben?«, fragte sie.
Bryony erwiderte den Blick ihrer blauen Augen. »Ich musste eine Krähe töten, Majestät.«
»Was dir ja geglückt ist. Aber was hattest du so spät noch draußen zu suchen?«
Bryony öffnete den Mund und schloss ihn wieder und wurde rot. Wie sollte sie das erklären, ohne zuzugeben, dass sie das Haus besucht hatte? »Ich wollte unser Volk von einem gefährlichenFeind befreien, Majestät«, sagte sie schließlich. »Und … ich wollte mein neues Messer ausprobieren.«
»Ach ja.« Amaryllis streckte die Hand aus. »Ich will dieses Messer sehen.«
Bryony zog es aus der Scheide und hielt es der Königin hin. Die Königin nahm es mit ihren langen, weißen Händen. »Es scheint seinen Zweck zu erfüllen«, meinte sie trocken. Sie hielt die scharfe Schneide ins Licht. »Woher hast du es?«
Bryony biss sich auf die Lippe. Was sollte sie darauf antworten?
»Ich habe dich etwas gefragt«, sagte die Königin. Sie klang freundlich, aber ihre schimmernden Flügel hoben und streckten sich, eine wortlose Erinnerung an ihre magischen Kräfte.
»Ich habe es gestohlen«, sagte Bryony. »Aus dem Haus.«
»In dem die Menschen wohnen?«
»Ja.«
»Willst du meinen Befehlen denn nicht gehorchen und immer wieder dein Leben riskieren?«
Bryony straffte die Schultern. »Majestät, für den Kampf gegen die Krähen brauchte ich eine bessere Waffe, und mir fiel keine andere Möglichkeit ein, an eine zu kommen. Ja, ich habe damals mein Leben aufs Spiel gesetzt und heute Abend wieder, und ich werde es weiter tun, solange Ihr mich als Eure Jägerin beschäftigt, denn zu jagen ist meine Pflicht.«
Die Königin schwieg einen Moment, dann sagte sie: »Du bist ungehorsam, aber auch tapfer. Ich kenne keine andere Jägerin, die je eine Krähe getötet hätte. Also gut, ich verzeihe dir – diesmal. Doch nimm dich in
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