Rebellin unter Feen
ihren Mund vertieften sich.
»Wenn er erst hier ist, gefällt es ihm bestimmt«, sagte ihr Mann. »Du wirst sehen.«
»Es wird schön, wenn er wieder zu Hause ist.« Beatrice lächelte verzweifelt.
»Ja«, sagte George tonlos. »Schön.«
»Ihre Majestät will dich sprechen«, rief Hasenglöckchen vom oberen Ende der Wendeltreppe. Klinge, die vier Umdrehungen tiefer gerade zum Frühstück unterwegs war, blieb stehen.
»Was hast du gesagt?«
»Ich sagte, die Königin will dich sprechen. Jetzt gleich.«
Widerwillig drehte Klinge um und stieg zu Hasenglöckchen hinauf. »Warum?«
Hasenglöckchen gab keine Antwort. Sie eilte den Gang entlang, zog den scharlachroten Vorhang beiseite und winkte Klinge in das Zimmer für Privataudienzen. Amaryllis saß auf ihrem Thron.
»Ich habe dich gerufen, weil ich soeben erfahren habe, dass die Krähe namens Wermut wieder aufgetaucht ist«, sagte sie.
Klinge erschrak. Warum hatte sie die Rückkehr des alten Wermut nicht bemerkt? Doch die Königin fuhr bereits fort.
»Eine Sammlerin hat berichtet, eine große Krähe hätte ihre Gruppe angegriffen, die in der frühen Morgendämmerung in Richtung Wald unterwegs war. Die Sammlerinnen hatten Glück und konnten sich rechtzeitig verstecken. Zwei bekamen allerdings einen Nervenzusammenbruch und mussten zurückgetragen werden. Das darf sich nicht wiederholen.«
»Soll ich ihn töten?«, fragte Klinge.
»Nein«, erwiderte die Königin, »du sollst dein Leben nicht aufs Spiel setzen. Er hat schon eine Jägerin getötet, und ich will nicht noch eine verlieren. Nein, du sollst die Sammlerinnen auf ihren Ausgängen begleiten. Ihre Arbeit ist für uns lebensnotwendig, deshalb darf nichts sie behindern.«
Also Wachdienst. Klinge stöhnte innerlich, doch dann fragte sie höflich: »Für wie lange?«
»Solange die Gefahr besteht. Ich gehe doch davon aus, dass du deine Arbeit tun kannst, während du auf die Sammlerinnen aufpasst?«
»Jawohl, Majestät.«
»Dann kannst du gehen.«
Klinge verbeugte sich und ging. Sie wirkte äußerlich ruhig, doch ihre Gedanken waren in Aufruhr. Die Sammlerinnen waren dem alten Wermut vor ihr begegnet – ein schwerer Schlag. Es war ihre Aufgabe als Jägerin, nach Raubtieren Ausschau zu halten. Dieser Pflicht hatte sie nicht genügt.
»Hat die Königin mit dir gesprochen?«, fragte eine ängstliche Stimme an ihrem Ellbogen. Klinge drehte den Kopf. Neben ihr stand Holly, die oberste Gärtnerin.
»Über den alten Wermut? Ja.«
»Er ist riesig.« Der Schrecken stand Holly noch ins Gesicht geschrieben. »Und schnell – ich habe noch nie eine Krähe so schnell fliegen sehen. Er hat mit dem Schnabel ein Loch in Lindes Korb gehackt.« Ein Schauer durchlief Holly. »Wirst du uns morgen also begleiten? Die anderen … wir alle wollen es wissen.«
Klinge nickte. »Das werde ich.«
»Du stehst bei Sonnenaufgang bereit? Und begleitest uns zum Wald und wieder zurück?«
»Ich bringe meinen Bogen mit«, sagte Klinge. »Und ich lasse euch nicht aus den Augen. Dann kann die Krähe euch nichts tun.«
Holly war erleichtert, und in ihr Gesicht kehrte wieder etwas Farbe zurück. Sie knickste hastig und eilte die Wendeltreppe hinunter.
Klinge folgte ihr, in bedrücktes Schweigen versunken. Sie trommelte mit den Fingern auf die Scheide des Messers an ihrem Gürtel. Die Pflicht ging vor, daran ließ sich nicht rütteln. Sie musste ihre Neugier auf die Menschen bezähmen und sich auf das konzentrieren, was die Königin ihr aufgetragen hatte. Beides zusammen überstieg ihre Kräfte. Es konnte also Wochen dauern, bis sie erfuhr, was Paul zugestoßen war.
Am besten schlug sie sich die Menschen überhaupt aus dem Kopf und redete sich ein, dass sie nicht wichtig waren. Doch sie konnte das kummervolle Gesicht der Frau nicht vergessen und auch nicht die Stimme des Mannes, die bei dem Wörtchen schön fast gebrochen war.
Vielleicht hatte sie sich schon zu sehr auf die Menschen eingelassen.
In den folgenden Tagen bewachte Klinge die Sammlerinnen, wie die Königin es ihr aufgetragen hatte. Sie geleitete sie über die offene Wiese und wandte sich dann ihren eigenen Pflichten zu. Wenn die Sammlerinnen später vor der Eiche ihre Körbe leerten, nahm sie ihre Beute aus. Sie war ständig auf der Hut vor dem alten Wermut, doch der ließ sich nicht blicken.
Irgendwann in dieser Woche – den genauen Zeitpunkt bekam Klinge nicht mit – traf Paul im Haus ein. Klinge hielt trotz ihrer Erschöpfung eifrig nach ihm Ausschau,
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