Rebellin unter Feen
aber er schien sich in seinem Zimmer zu verkriechen, und dort waren entweder die Vorhänge zugezogen oder es brannte kein Licht.
»Er spricht den ganzen Tag nicht mit mir«, sagte Beatrice schluchzend. »Kein einziges Wort. Er sieht durch mich hindurch, als sei ich Luft.«
»Dafür gibt es keine Entschuldigung«, sagte ihr Mann und setzte seine Teetasse klirrend auf dem Unterteller ab. »Seiner Zunge und seinem Gehirn fehlt ja nichts. Er ist einfach stur, nichts anderes.«
»Nein, George«, bat die Frau. »Hab Geduld mit ihm. Er hat eine schwere Zeit durchgemacht, und wir wissen nicht, was ihm vielleicht sonst noch fehlt.«
Ich weiß nicht einmal, wie er aussieht, dachte Klinge enttäuscht. Zum Teufel mit dem alten Wermut und der Königin und ihren ach so wichtigen Sammlerinnen. Mir ist die Zeit noch nie so lange geworden wie in dieser Woche.
Die Woche endete allerdings mit einem Paukenschlag. Als Klinge mit acht müden Sammlerinnen im Schlepptau den Hang an der westlichen Grenze der Eichenwelt hinaufstieg, versperrte ihnen ein seltsames Hindernis den Weg zur Eiche. Durch eine Lücke in der Hecke sah Klinge Metall in der Sonne blitzen und einen Teil eines riesigen schwarzen Reifens. Mit einer aufgeregten Handbewegung bedeutete sie den anderen, sich hinzulegen. Sie selbst kroch unter den Büschen hindurch, um die monströse Maschine genauer in Augenschein zu nehmen.
Vermutlich handelte es sich um ein neues Gartengerät, dass die Menschen auf dem Rasen hatten stehen lassen. Doch kaum war sie aus dem Schutz der Hecke getreten, bemerkte sie ihren Irrtum. Bei der großen Gärtnerin! Das war ja Paul!
Er saß auf einem silbernen Thron, mit einem aufgeschlagenen Buch auf den Knien: ein junger König, allerdings ohne Krone und in Alltagskleidern. Er war schlank und hatte breite Schultern undlange, kräftige Arme. Wenn er stand, war er bestimmt fast so groß wie sein Vater, dachte Klinge. Der Wind blies ihm die blonden Haare in die Stirn, und er warf sie mit einer ungeduldigen Kopfbewegung zur Seite.
Doch mitten in der Bewegung hielt er inne. Sein Blick war auf Klinge gefallen.
Klinge war wie gelähmt. Ihr Mund bewegte sich stumm, die Hand am Messer an ihrer Hüfte zitterte. Unverwandt starrten Paul McCormicks blaue Augen sie an, während sich Staunen auf seinem Gesicht abzeichnete. Klinge stand unmittelbar vor ihm. Er brauchte nur aufzuspringen, und schon hatte er sie gepackt. Doch er rührte sich nicht.
»Paul!«, rief eine durchdringende, hohe Stimme vom Haus.
Er drehte sich danach um, und der Bann war gebrochen. Klinge kehrte durch die Hecke zu den Sammlerinnen zurück, die zitternd auf sie warteten.
»Ich hol dich rein«, rief Beatrice über den Rasen. »Wir trinken Tee.«
»Was tun wir bloß?«, wimmerte Klee. Ihre Fingernägel gruben sich schmerzhaft in Klinges Arm. Klinge schüttelte sie mit einer Grimasse ab.
»Wir warten«, flüsterte sie. »Er ist gleich weg.«
Stumm lauschten sie auf die Schritte auf dem frisch gemähten Gras. Auf der anderen Seite der Hecke tauchten die mit Strümpfen bekleideten Füße der Frau auf. »So, dann wollen wir mal«, sagte sie. Die Räder des silbernen Throns drehten sich in Richtung Haus.
»Du hast ganz dicht vor ihm gestanden«, flüsterte Klee Klinge ins Ohr. »Neben einem – Menschen. Hattest du keine Angst?«
»Nein.« Klinge sah Paul nach, der sich mit seinem Thron entfernte und zuletzt durch die Tür der Veranda verschwand.»Die Luft ist rein«, sagte sie. »Nehmt eure Körbe. Wir gehen weiter.«
»Hat er dich gesehen?«, piepste eine zweite Stimme aufgeregt.
Klinge duckte sich unter der Hecke hindurch und marschierte auf die Eiche zu, ohne sich umzublicken.
»Natürlich nicht«, sagte sie.
SECHS
Klinge lag auf ihrem Bett und starrte an die knorrige Zimmerdecke. Sie musste immer wieder daran denken, wie Paul auf seinem Thron mit Rädern sie angestarrt hatte.
Sie konnte kaum glauben, dass sie tatsächlich vollkommen bewegungslos vor einem Menschen gestanden hatte. Wahrscheinlich war sie vor Schreck gelähmt gewesen. Sie hatte gar keine Zeit gehabt, Angst zu empfinden oder wegzulaufen. Der Junge war zum Glück genauso verdattert gewesen, sonst wäre sie jetzt nicht hier.
Doch Klinge war nicht nur vor Schreck stehen geblieben, sie war auch fasziniert von dem Jungen. Sie war ihm bei ihrem ersten Ausflug aus der Eiche vor acht Sommern begegnet. Seither hatte sie sich immer danach gesehnt, ihn wiederzusehen.
Sie drehte sich auf den Bauch um und
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