Rebellin unter Feen
vielleicht die Bibliothek besuchen. Heides Tagebuch hatte sie neugierig auf die Zeit von Königin Schneeglöckchen gemacht. Sie wollte wissen, was die alten Geschichtsbücher dazu sagten.
In der Küche brannte zu ihrer Überraschung ein gewaltiges Feuer. Das Feuer der Kochstelle wurde in den Sommermonaten sonst eher klein gehalten, damit es im Innern der Eiche nicht zu stickig wurde.
Doch mussten sich darum die Küchenarbeiterinnen kümmern. Auch hier erntete sie allerdings misstrauische Blicke, als sei sie nicht willkommen. Sie schenkte sich eine Tasse heißen Zichorienkaffee ein und machte sich auf den Weg zur Bibliothek.
Pechnelke saß an ihrem Schreibtisch, vor sich das aufgeschlagene Bücherverzeichnis. Mechanisch tunkte sie ihre Feder in das Tintenfass und strich einen Eintrag nach dem anderen aus. Sie hielt den Kopf gesenkt, und ihr Gesicht war hinter den Haaren nicht zu sehen, doch die Finger, mit denen sie die Feder hielt, zitterten.
»Pechnelke, was …«, begann Klinge. Ihr Blick fiel auf den hinteren Teil der Bibliothek, und die Worte blieben ihr im Hals stecken.
Die Tür zu der geheimen Kammer stand offen, und Fußspuren aus Asche führten in sie hinein und wieder heraus. Das Regal in der Kammer war leer, die kostbaren Bücher über die Menschen verschwunden.
»Was ist passiert?«, wollte Klinge wissen und sah Pechnelke empört an. »Wer hat das getan?«
Pechnelke steckte die Feder ganz langsam in das Tintenfass und hob den Kopf. Ihr Gesicht hatte jede Farbe verloren, und in ihren Augen funkelte eine mörderische Wut. Klinge trat unwillkürlich einen Schritt zurück aus Angst, die Bibliothekarin könnte sie schlagen.
»Das hättest du nicht gedacht, was?«, zischte Pechnelke. »Du konntest ja nicht einmal einen Moment so tun, als hättest du Angst.«
»Ich … ich verstehe dich nicht …«
»Natürlich nicht, du bist ja noch so jung und interessierst dich nur für dich selbst. Du musstest unbedingt vor den Sammlerinnen angeben. Seht mich an, ich habe kein bisschen Angst vor den Menschen, tralala!« Pechnelke lachte schrill. »Aber dass die Königin hören könnte, wie schrecklich mutig du warst, und vielleicht überlegt, warum du keine Scheu vor Menschen hast – daran hast du nicht gedacht. Oder dass sie vielleicht durch bestimmte Maßnahmen dafür sorgt, dass andere nicht deinem Beispiel folgen.«
Übelkeit stieg in Klinge auf. »Soll das heißen … die Bücher … wurden vernichtet?«
»Ja, natürlich.« Pechnelke spuckte die Worte förmlich aus. »Hast du noch nicht das lustige Feuer bemerkt, dass heute früh in der Küche brennt? Es brennt nur deinetwegen, und heute Nachmittag werden wir die zusätzliche Hitze bestimmt noch viel mehr genießen.«
Klinge schloss die Augen, und ihre Lippen bewegten sich in stummer Verzweiflung.
»Diese Bücher sind unbezahlbar«, sagte Pechnelke. »Unersetzlich. Bist du jetzt zufrieden?« Sie nahm ihre Feder auf und strich weitere Einträge des Verzeichnisses durch. Eine große Träne fiel von ihrer Nasenspitze und landete spritzend auf der Seite.
»Das … tut mir leid«, sagte Klinge hilflos. Zum ersten Mal, seit sie sich erinnern konnte, schämte sie sich.
»Das hat die Königin auch gesagt.« Pechnelke schniefte. »Wenigstens hat sie das getan, was sie für uns alle am besten hält. Was für eine Entschuldigung hast du?«
Darauf gab es keine Antwort. Klinge verbeugte sich deshalb nur und wandte sich zum Gehen. Doch dann fiel ihr noch etwas ein, und sie drehte sich noch einmal um. »Kann es sein,dass …? Ich meine, wenn du das vorausgesehen hast, hast du vielleicht …?«
Sie brach verunsichert ab, und Pechnelke hob den Kopf. Der Zorn auf ihrem spitzen Gesicht hatte sich ein wenig gelegt. »Was?«
»Hast du mir gestern Abend das Päckchen gebracht?«
»Ein Päckchen? Dir gebracht? Von mir bekämst du nicht einmal eine tote Schnecke, auch nicht für Gold.« Sie kniff die Lippen zusammen. »Raus jetzt!«
Zerknirscht schlich Klinge hinaus und stieg die Treppe zum Erdgeschoss hinunter. Langsam und in trübe Gedanken versunken näherte sie sich dem Ausgang in der Ostwurzel.
Als sie ins Freie trat, hörte sie als Erstes Beatrices zitternde Stimme. »Paul, bitte.«
Die Worte kamen leise vom anderen Ende des Rasens, doch Klinge hörte deutlich den Kummer, der aus ihnen sprach. »Ich … ich will doch nur mit dir reden. Warum sprichst du nicht mit mir?«
Paul antwortete nicht. Er hatte den Kopf lauschend ein wenig geneigt, aber sein Gesicht
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