Rebellin unter Feen
Botschafterin zu einem anderen Feenvolk geschickt hatte. Da die Eichenfeen schon seit Jahrhunderten nichts mehr von anderen Feen gesehen oder gehört hatten, musste man die erst suchen. Neugierig las Klinge weiter.
… Jasmin kam heute mit einem Kleid zu mir, das geflickt werden musste. Ich war versucht, ihr die Bitte abzuschlagen, doch als ich das Kleid sah, entfuhr mir unwillkürlich ein Ausruf. Der obere Teil war vollkommen zerrissen, ein Ärmel fehlte ganz. Der Rock war bis zum Knie ganz schwarz, als sei Jasmin in den Sumpf gefallen. Wenn sie in diesem Kleid nach Hause zurückgekehrt war, wunderte mich ihre schlechte Laune nicht. Ich bekam Mitleid mit ihr und sagte, in zwei Wochen könnte sie es abholen.
»Und wie kann ich dir deine Arbeit vergelten?«, fragte sie.
Ich weiß, dass man nicht in anderer Leute Angelegenheiten herumschnüffelt, konnte meine Neugier aber nicht bezähmen. »Indem du mir etwas erzählst«, sagte ich. »Was für ein Unglück ist dir zugestoßen, dass du zur Eiche zurückgekehrt bist?«
Sie presste die Lippen aufeinander. »Darüber kann ich nicht sprechen«, erwiderte sie. »Nur so viel: Ich glaube, unserem Volk hier besser dienen zu können.«
»Verzeih mir«, sagte ich, als ich merkte, dass ich sie bekümmert hatte.
»Keine Ursache«, antwortete sie. »Wenn Neugier ein Fehler ist, dann habe ich ihn auch. Doch kann ich dir etwas anderes anbieten, dass besser zu deinem Handwerk passt: einige Skizzen von Kleidern, die ich unterwegs gesehen habe.«
»Oh!«, rief ich überrascht. »Das könntest du?«
»Gewiss. Ich habe mir unterwegs einiges Geschick im Zeichnen angeeignet.« Jasmin lächelte, doch ihre Augen blickten bitter. »Es würde mich freuen, diese Fähigkeit für einen … nützlichen Zweck zu verwenden.«
Darauf fiel mir keine Antwort ein, und so standen wir einen Augenblick schweigend da. Schließlich fuhr Jasmin in einem leichteren Ton fort: »Ich werde dir die Zeichnungen also bald bringen. Und das Kleid ist in zwei Wochen fertig? Ich will dich nicht drängen, denn ich weiß, dass du eine tüchtige und gute Näherin bist. Leider habe ich sonst kaum etwas anzuziehen.«
Jetzt tat sie mir aufrichtig leid. »In ein paar Tagen ist es fertig«, sagte ich. Sie nickte und ging.
Ich habe mich in Jasmins Gegenwart immer unterlegen gefühlt und ihr gern einen Vorwurf daraus gemacht. Jetzt merke ich, dass ich ihr Unrecht getan habe, dass sie mehr gelitten hat, als wir uns vorstellen können. Ich werde die anderen Feen bitten, freundlicher zu ihr zu sein – natürlich ohne dass sie es merkt, denn sie ist noch im Unglück stolz und wäre zweifellos gekränkt über die Vorstellung, ich würde hinter ihrem Rücken über sie reden.
Klinge hätte am liebsten weitergelesen, aber sie war inzwischen so müde, dass sie die Augen kaum noch offen halten konnte. Sie riss sich ein langes, weißes Haar aus und legte es als Lesezeichen zwischen die Seiten. Dann klappte sie das Buch zu und schlüpfte ins Bett.
Als Klinge am folgenden Morgen aus ihrem Zimmer trat, hatten sich die Sammlerinnen wie üblich vor dem Tor der Königin versammelt. Sie hatten ihre Körbe geschultert und sprachen über die bevorstehende Arbeit. Klinge hörte Hollys Stimme aus den anderen heraus. »… ging in den letzten Tagen sehr gut, zumal es bis heute nicht geregnet hat. Wir haben unsere Vorräte an Beeren und Grünzeug aufgestockt und …«
Holly bemerkte Klinge, brach ab und schluckte sichtbar. Auch die anderen Sammlerinnen verstummten und blickten zu Boden.
»Was ist denn?«, fragte Klinge. Niemand antwortete.
Endlich räusperte sich Holly. »Ich glaube, wir brauchen dich heute nicht«, sagte sie. »Die Krähe scheint weitergezogen zu sein, deshalb müssten wir ab jetzt wieder allein zurechtkommen.« Sie sah die anderen an. »Das findet ihr doch auch?«
Alle nickten.
»Na gut«, sagte Klinge ein wenig verwirrt. »Mir ist es egal. Ich gehe später sowieso auf die Jagd. Wenn ihr mich braucht, könnt ihr mich ja rufen.«
Holly wirkte erleichtert. »Das werden wir. Seid ihr bereit? Dann los.«
Klinge sah den Sammlerinnen nach und machte das Tor hinter ihnen zu. Was hatte das zu bedeuten? Die anderen Feen hatten doch wohl keine Angst vor ihr, nur weil sie sich in die Nähe eines Menschen gewagt hatte?
Sie zuckte die Schultern und machte sich auf den Weg zur Küche. Wenn ihre Dienste vorerst nicht benötigt wurden, konnte sie genauso gut erst einmal ausgiebig frühstücken. Anschließend wollte sie
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