Rebellin unter Feen
hinauf, packte die Klinke mit beiden Händen und hängte sich daran. »Ich will … die Tür … öffnen.«
»Sie ist abgeschlossen.«
»Macht nichts.« Klinge rutschte die Gardine hinunter und drehte sich zu ihm um. »Ich finde schon einen anderen Ausgang.«
Paul sah auf sie hinunter. Sein Gesicht war traurig, aber nicht mehr wütend. »Tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe«, sagte er. »Ich … ich hatte das Bild im Fotoalbum ganz vergessen.«
»Ist mir egal! Ich will nichts mehr davon hören! Lass mich einfach raus!« Klinge rannte an ihm vorbei in die Küche, sprang flügelschlagend hoch und wollte zum Fenster über der Spüle hinauffliegen. Aus den Augenwinkeln sah sie Vermeer in die Küche schleichen. Der Kater setzte sich und beobachtete sie. Sie sprang unermüdlich weiter hoch und fiel auf den Boden zurück, bis sie in ihrer Hilflosigkeit fast schluchzte.
»Hör auf, Klinge«, sagte Paul. »Bitte.«
»Ich dachte, ich könnte dir vertrauen.« Die Worte brachen aus ihr heraus, und Klinge merkte beim Sprechen, dass sie stimmten. Sie hatte keine Angst mehr vor Paul gehabt und sich nicht mehr als seine Gefangene gefühlt. Auch der Gedanke an Flucht war in die Ferne gerückt. Was war in sie gefahren, dass sie geglaubt hatte, sie könnte mit einem Menschen befreundet sein?
Jetzt wusste sie es besser.
»Aber das kannst du doch«, sagte Paul bittend. »Ich weiß, ich habe dir Angst gemacht, aber das wollte ich nicht.«
»Du hättest mich beinahe umgebracht!«
Er wurde ganz blass. »Aber du … du hast auf meiner Schulter gesessen. Du bist hinuntergesprungen …«
»Ich bin hinunter gefallen . Und dann hast du auch noch das Buch nach mir geworfen!«
Paul starrte sie vollkommen verzweifelt an. »Du hast recht«, sagte er schließlich. »Ich lasse dich gehen. Morgen.«
Klinge hob trotzig das Kinn. »Heute.«
»Nein. Es ist schon fast dunkel und zu gefährlich. Bleib noch bis morgen. Bitte.«
»Aber dann gehe ich. Nur falls du glaubst, ich würde meine Meinung noch ändern.«
»Das glaube ich nicht.«
»Und ich werde mich nicht mit dir unterhalten. Auch nicht über Kunst.«
»Nein.« Er sah sie flehend an, und sie fügte sich widerstrebend.
»Also gut«, sagte sie.
Paul atmete erleichtert aus. »Ich danke dir.«
»Untersteh dich!«, brauste sie auf. Nach dem, was er ihr angetan hatte – wie konnte er etwas so Kostbares in den Schmutz ziehen und die geheiligten Worte aussprechen, als bedeuteten sie nichts?
»Was?«
Doch Klinge würdigte ihn keiner Antwort, sondern marschierte an ihm vorbei aus der Küche. Sie spürte seinen Blick im Rücken, drehte sich aber erst um, als sie schon fast am Schlafzimmer angekommen war.
Da hatte er sich bereits abgewandt und den Kopf gesenkt. Langsam öffnete er die Hand. In ihr lag noch immer das Foto, das er aus dem Album gerissen hatte. Behutsam strich er es auf seinem Schoß glatt und betrachtete den kleinen Jungen, der er gewesen war. Klinges Wut schlug in Verwirrung um. Was war ausgerechnet an diesem Bild so besonders?
Aber nein. Sie wollte nicht mehr an Paul denken. Morgen würde sie zur Eiche zurückkehren, den Dienst als Jägerin quittieren und sich auf die Arbeit stürzen, die sie von der Königin zugewiesen bekam. Dann hatte sie gar keine Zeit mehr, an die Menschen zu denken.
Vielleicht spürte sie dann auch Paul McCormicks tiefen Kummer nicht mehr wie ihren eigenen.
ZEHN
»So«, sagte Klinge, »ich habe zu Ende gefrühstückt. Lässt du mich jetzt gehen?«
»Noch nicht.« Paul zog die Vorhänge auf und ließ das trübe Morgenlicht herein. »Meine Mutter hat heute ihren Einkaufstag. Wir müssen warten, bis sie weg ist.«
»Warum? Du kannst mich doch jetzt gleich rauslassen.«
»Schon, aber ich begleite dich lieber ein Stück. Damit du auch wirklich wohlbehalten zu Hause ankommst.«
Klinge stöhnte ungeduldig. Paul mochte ein höflicher Mensch sein, aber er war zugleich ähnlich stur wie Dorna. »Ich will aber nicht länger warten. Ich habe zu tun.«
»Es dauert nicht mehr lange.«
Ruhelos ging Klinge auf dem Frühstückstablett hin und her und streckte ihren verletzten Flügel. Zwar spürte sie den Riss noch, doch tat der Flügel nicht mehr bei jeder Bewegung weh. An den Boden gefesselt zu sein und nicht fliegen zu können, war schlimm genug. Ob Paul auch Schmerzen hatte? Nicht dass es etwas änderte – er hatte sie geschlagen und verdiente ihr Mitleid nicht. Aber er wirkte an diesem Morgen besonders angespannt. Sein Gesicht war
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