Rebellion des Herzens
zurechtzukommen.
Es war unglaublich, daß sie überhaupt einschlafen konnte, und jetzt war sie wieder hellwach. Aber sie hatte keine Lust, ihr warmes Bett zu verlassen. Statt dessen lauschte sie erst einmal und wartete darauf, daß endlich die Stille eintrat, die ihr verriet, daß er in sein Bett gefallen war. Sie würde ihn morgen fragen, was sein Pfeifkonzert zu bedeuten gehabt hatte. Es war das erste Mal, seit er vor vier Tagen ins Haus gezogen war, daß er sich derart unhöflich benahm. Für gewöhnlich mußte sie sich aufs äußerste anstrengen, um überhaupt das leiseste Geräusch aus seinem Zimmer vernehmen zu können.
Aber das nächste, was sie hörte, ein dumpfer Aufprall, als sei er hingefallen, brachte sie in Windeseile aus dem Bett und zur Tür. Vor ihrem Zimmer blieb sie jedoch abrupt stehen, als sie ihn vor sich sah. Er hielt sich, wenn auch nur mit knapper Not, noch immer auf den Beinen. Das Licht, das sie für ihn im Flur hatte brennen lassen, ließ keinen Zweifel daran: Er lehnte mit dem Rücken an der Tür, und das in einem solchen Winkel, daß seine Füße jeden Augenblick unter ihm wegrutschen konnten. Und er pfiff immer noch. Verständlicherweise wurde Cassie langsam wütend. »Worin besteht eigentlich Ihr Problem?«
Er hob den Kopf, den er ebenfalls an die Tür gelehnt hatte, um sich zu ihr umzudrehen, ließ ihn jedoch sogleich wieder zurückfallen. »Kriege die Tür nicht auf.«
»Haben Sie den Schlüssel verloren?«
»Gar nicht verschlossen.«
Sie runzelte die Stirn. »Warum können Sie sie dann nicht öffnen?«
»Meine Hand ist zu geschwollen, um den Griff herunterzudrücken.«
»Alle beide?«
»Nein.«
»Warum probieren Sie es dann nicht mit der anderen Hand?«
»Daran habe ich gar nicht gedacht. Danke für den Tip.«
In diesem Augenblick wurde ihr klar, daß er betrunken war, ernsthaft betrunken, und ihre Alarmglocken läuteten Sturm. Mit einem betrunkenen Angel wollte sie lieber nichts zu tun haben. Am besten ging sie sofort zurück in ihr Zimmer und ließ ihn sein Bett allein suchen. Er würde es schon finden – oder auch nicht. Aber dann drehte er sich doch zu ihr um, und sie sah sein Gesicht.
Entsetzt keuchte sie: »Was ist passiert?«
Ein Auge war völlig verfärbt und so angeschwollen, daß er es nicht mehr öffnen konnte. Oben an seiner Wange war ein Stück Haut abgeschürft, und darum herum befanden sich eine Unmenge Schrammen. Aus beiden Nasenlöchern lief ihm das Blut, was er offensichtlich nicht weiter bemerkte, obwohl er es irgendwann über die andere Wange verschmiert haben mußte. Jetzt sah sie auch die offene Whiskyflasche in seiner Hand und Blut an allen vier Fingern. Sie sahen tatsächlich geschwollen aus, und zufällig war das die Hand, mit der er schoß.
Das eine Auge, mit dem er noch sehen konnte, richtete sich keineswegs direkt auf sie, sondern blickte lediglich in die Richtung, aus der ihre Stimme kam. »Hatte 'n kleinen Zusammenstoß mit Ihrem Verehrer.«
»Welchem Verehrer?«
»Morgan.«
Aus irgendeinem unerklärlichen Grund errötete sie. Sie wußte selbst nicht genau, warum es ihr lieber gewesen wäre, wenn er nicht herausgefunden hätte, daß Morgan ihr früher den Hof gemacht hatte. Aber glücklicherweise achtete Angel nicht weiter auf ihre Reaktion. Er drehte sich noch ein bißchen weiter herum, um mit seiner anderen Hand noch einmal sein Glück bei der Tür zu versuchen. Diesmal öffnete sich die Tür, aber da er sich noch immer dagegenlehnte, folgte er ihr ins Zimmer und landete mitten auf dem Gesicht.
Cassie riß die Augen auf und betrachtete seine Beine, die über die Türschwelle herausragten. Jetzt hatte sie absolut keine Angst mehr, daß er in seinem gegenwärtigen Zustand gefährlich werden könne. Er war offensichtlich ziemlich harmlos und konnte ganz gewiß ein wenig Hilfe gebrauchen.
Als sie in sein Zimmer spähte, sah sie, daß er rücklings dalag. Wunderbarerweise hatte er keinen Whisky verschüttet, sondern hielt die Flasche noch immer mit einer beschützenden Geste in der Armbeuge, und das, obwohl er das Bewußtsein verloren zu haben schien.
Sie hatte einen Augenblick lang vor, ihn einfach dort zu lassen, wo er lag, ihm lediglich die Stiefel auszuziehen und eine Decke über ihn zu werfen – das brachte sie aber nicht über sich. Er war auch ohne eine solche Behandlung schon übel genug zugerichtet. Eine Nacht auf dem harten Boden würde seinen Zustand nicht verbessern. Mit einigem Schieben und Zerren und einer ganzen Menge
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