Rebellische Herzen
»Ich kümmer mich drum, Mylady.«
Irgendein kleiner Teufel in Charlotte, von dem sie bislang nichts gewusst hatte, ließ sie sagen: »Es würde doch keine Umstände machen, zwei zusätzliche Gedecke aufzulegen.«
Harris hielt inne.
Adorna legte die Hand auf die Stirn. »Das wäre allerliebst. Aber mein Sohn und ich sind eben erst aus London zurück, und ich bin erschöpft.«
Charlotte gab augenblicklich nach. »Dann also ein Tablett auf Ihr Zimmer.«
»Das wäre reizend.«
Harris nickte und ging in die Küche.
Adorna sagte nachdenklich. »Charlotte, Sie sind lange nicht so arglos, wie Sie mich glauben machen wollen.«
»Verzeihen Sie, Adorna, ich weiß nicht, was mich da eben geritten hat.«
»Der Geist des Unfugs natürlich. Damit muss man rechnen, wenn man viel Zeit mit Kindern verbringt.«
Als sie zurück zur Terrasse gingen, knickste ein gehetztes Dienstmädchen vor ihnen, das ein Tablett mit einem Gedeck balancierte. Das nächste Küchenmädchen schritt besonnener einher. Sie hielt ihr Tablett hoch und achtete darauf, dass sie nichts von den Mahlzeiten unter den Wärmehauben verschüttete. Auch sie knickste, bevor sie zur Treppe abbog.
Adorna nickte den Mädchen zu, setzte ihre Erörterung aber in einem sachlichen Ton fort. »Diese Affäre, die ich in Betracht ziehe, erfordert sehr viel Reife.«
Der Weg, den das Gespräch nahm, bereitete Charlotte einiges Unbehagen.
»Haben Sie sich schon einmal einer hingegeben?«, fragte Adorna.
»Einer«
»Einer Affäre«, sagte Adorna geduldig.
Charlotte fragte sich beunruhigt, ob Adorna sie auf die Probe stellte, oder ob sie gerade einen merkwürdigen, verrückten Traum hatte. »Nein, Madam.«
Als sie auf dem Flur ankamen, der von der Treppe zur Terrasse führte, sah Adorna sie mit einem Blick an, der ihre Ungehaltenheit erkennen ließ. »Sie missbilligen es.«
»Lady Ruskin, es steht mir nicht zu, Ihr Verhalten zu billigen oder zu missbilligen.«
»Sie reden mich wieder mit meinem Titel an. Sie
missbilligen
es.«
»Mylady, Adorna. Wirklich, ich maße mir nicht an …«
Adorna hob ihre Hand. »Na gut. Dann gehe ich jetzt in mein einsames Zimmer und nehme dort mein einsames Abendessen ein.« Sie drehte sich um und ging weg.
Und Charlotte, die nicht verstand, worin ihre Beleidigung genau bestanden hatte, rannte ihr nach. »Bitte, Madam, ich habe nicht gemeint _«
Adorna hatte ein Einsehen und nahm Charlottes Hand. »Meine Liebe, ich stürme wutschnaubend davon. Die Wut verliert ihre Wucht, wenn Sie mit mir kommen.«
»Ich … ja, natürlich.«
»Ach was, das Gerede von den einsamen Mahlzeiten ist Quatsch. Ich bin wirklich müde. Gehen Sie auf die Terrasse. Aber heute Abend sehen wir uns noch.«
»Heute Abend?«
Adorna wedelte nur mit der Hand und sagte im Gehen etwas, das Charlotte das Blut in den Adern gefrieren ließ. »Ich denke, es ist an der Zeit, Ihnen zu erklären, weshalb ich Sie
wirklich
hergeholt habe.«
Kapitel 7
Als Charlotte die Terrasse betrat, lehnte ein einsamer Wynter an der Balustrade und beobachtete sie. »Sie haben offensichtlich mit meiner Mutter gesprochen.«
Charlotte war von ihrer Begegnung mit Adorna noch ganz benommen. Sie starrte den Mann an, der vom goldenen Sonnenlicht liebkost wurde und fragte sich, ob er Gedanken lesen könne. »Woher wissen Sie das?«
Er lächelte – und bei Gott, was für ein Lächeln das war!
Die nach oben gezogenen Mundwinkel nahmen seinem Gesicht alle Härte. Charlotte hatte keinen Zweifel, dass er sich königlich amüsierte. Die Kinder tobten auf dem Rasen. Sie hätte sie für ihr Geschrei und ihre Wildheit eigentlich schimpfen müssen, aber Wynters Lächeln lenkte sie ab.
Er stieß sich vom Geländer ab und ging zu dem quadratischen, weißen Eisentisch, der für vier Personen gedeckt war. Er zog einen Stuhl für sie zurück. »Mutter hat einen Sinn für das Wunderbare.« Als sie sich setzte, fügte er flüsternd hinzu: »Und Sie sehen wunderbar aus.«
Sein Atem streifte ihren Nacken, und einen Augenblick lang klang er so aufrichtig, dass Charlotte um ihre Fassung rang.
Gütiger Gott, ihre Heimkehr nach Surrey war wirklich eine Herausforderung. Aber sie war eine starke Frau und dank ihrer sittlichen Reife würde sie jegliche Herausforderung bestehen.
Nur musste irgendwer Wynter davon in Kenntnis setzen. Der stand nämlich immer noch vorgebeugt – mit den Händen auf ihrer Stuhllehne dicht an ihrem Rücken. Sein frischer Duft umgab sie und er betrachtete ihr Profil, was sie zwar nicht
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