Rebellische Herzen
seinen Arm legen, aber was konnte sie schon tun? Rüde sein und
nein
sagen? Eben an diesem Nachmittag hatte er entdeckt, dass es nur ein wenig Feinsinn und den überlegten Einsatz von Höflichkeit brauchte, um Charlotte zu gängeln. Sie trat gerade so weit heran, dass ihre unbehandschuhten Finger seinen Ärmel erreichten.
»Ihre Hand gleicht einem Schmetterling«, er presste seine Hand auf ihre, »und wie ein Schmetterling sind Sie scheu und sich des Juwels ihrer weiblichen Schönheit nicht bewusst.« Er ging los, bevor sie das Kompliment noch verdaut hatte. »Ich möchte Sie im alten Kinderzimmer treffen. Wissen Sie, wo es liegt?«
»Ähm.« Sie räusperte sich vornehm, und wieder bewegten sich ihre Finger schmetterlingsgleich unter den seinen. »Auf der dritten Etage?«
»Auf der zweiten. Es war mein Kinderzimmer. Die Möbel wurden entfernt. Das entspricht meinem Geschmack wesentlich mehr als die aufgetakelten Zimmer der modischen Gesellschaft. Stühle, Sofas und Tische, dass man sich nicht mehr bewegen kann, ohne sich das Schienbein anzuschlagen! Drapierte Stoffe und Quasten in jeder erdenklichen Farbe! Und jede freie Fläche mit Nippes zugestellt!« Er warf Charlotte einen flüchtigen Blick zu.
Mit ihren niedergeschlagenen Lidern und ihrem hochgesteckten Haar hätte sie eine vollkommene Lady abgegeben. Wäre da nicht ihr Lächeln gewesen.
Er nutzte diese Gunst. »Ah. Sie stimmen mir zu!«
»Ich selbst bevorzuge einen schlichteren Stil, als es gegenwärtig Mode ist.« Dass sie etwas von ihren persönlichen Vorlieben preisgab, verriet ihm, dass sie tatsächlich unter dem Einfluss des Brandys stand. »Aber ich maße es mir nicht an, den Geschmack anderer Leute zu kritisieren.«
Er schämte sich beinahe, ihren Schwips auszunutzen. Beinahe. »Das fiele mir auch nicht ein. Ich teile meine Gedanken nur mit jemandem wie Ihnen, von dem ich weiß, dass er in Einklang mit mir steht.«
Sie straffte sich wieder, reagierte übermäßig auf die bloße Andeutung, es gebe zwischen ihnen eine Affinität. Ja, gut. Sie war sich seiner nur zu bewusst und unfähig, ihre Anspannung zu verbergen. Genauso war er sich ihrer nur zu bewusst, und ihr Anblick und ihr Geruch verursachten ihm ein schmerzhaftes Ziehen in den Lenden. Weil er so lange keine Frau mehr gehabt hatte, zugegeben. Aber auch weil … sie Charlotte war.
»Ist das das falsche Wort – ›Einklang‹?«, fragte er mit vorgetäuschter Ahnungslosigkeit. »Ich meinte nur, dass Sie und ich in der gleichen Art und Weise denken.«
»Sie haben das Wort ganz korrekt benutzt«, versicherte sie ihm leichterhand, »aber weiß nicht, ob dem zustimmen kann.«
»Aber das müssen Sie!«, protestierte er. »Sie glauben doch, dass die Erziehung meiner Kinder die wichtigste Aufgabe in diesem Haus ist.«
»Absolut.«
»Das tue ich auch.« Wie er sie so durch die Galerie führte, zogen sie langsam an den Portraits vorbei. »Einzig aus diesem Grunde habe ich Sie gebeten, zu bleiben, als Sie mich heute demütigten.«
Sie zog ihre Hand zurück. »Sie haben mich nicht gebeten zu bleiben. Und ich habe Sie nicht gedemütigt.«
»Ich habe Unterrichtsstunden zugestimmt, die ich nach einem langen Tag in London und einem mörderischen Heimweg erhalten werde.«
»Auch mein Tag ist lang.«
»Ich habe zugesagt, Ihnen deutlich mehr zu zahlen, obwohl Sie bereits Kost und Logis frei haben, solange Sie unter meinem Schutz stehen.«
Sie blieb stehen und entriss ihm ihre Hand. »Ich stehe nicht unter Ihrem Schutz. Ich bin eine unabhängige Frau.«
Wynter blieb gleichfalls stehen. »Und ich habe nicht geschrien, als meine Tochter verlangte, dass ich Sie heiraten solle.«
Er konnte es im Halbdunkel nicht sehen, aber er dachte, sie errötete. »Das war nicht meine Schuld!«
»Sie haben nicht von ihr verlangt, sich für Sie zu verwenden?«
»Ich bitte um Entschuldigung, Sir.« Sie stemmte die Hände in die Hüften und sah ihn hasserfüllt an. »Das habe ich ganz bestimmt nicht!«
Er machte einen langen Schritt auf sie zu, drückte seine Beine gegen ihren Rock und hielt sich sehr aufrecht, sehr imponierend. »Sind Sie sicher, dass Sie es nicht von ihr verlangt haben?«
»Ob ich sicher bin? Natürlich bin ich sicher.« Dann musterte sie ihn, von Kopf bis Fuß, seine fremdartige Kleidung und seinen strengen Gesichtsausdruck. Sie schluckte.
»Wie könnte ich es vergessen, wenn ich einen derartigen Vorschlag gemacht hätte?«
Er ließ sein Gesicht erschlaffen. »Das stimmt mich
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