Rebellische Herzen
eine untergebene Gouvernante war und er ein Viscount und ihr Dienstherr. Stattdessen wurde sie sich ihrer eigenen Weiblichkeit und seiner Verehrung bewusst, ein gefährliches Gemisch, das alles nur noch reizvoller machte.
Dieser Mann konnte sie verführen, wenn sie nicht wachsam war. »Mylord, wenn mich mein Gefühl nicht trügt und dies ihre persönlichen Räume sind, dann gehört es sich nicht, dass ich mich mit Ihnen allein hier aufhalte.«
»Persönliche Räume? Das ist mein altes Kinderzimmer!«
Seine Verwunderung war deutlich zu hören. »Nur noch eine Minute. Machen Sie es sich bequem.«
»Hmpf.« Sie glaubte ihm nicht ganz, aber sie fand, sie habe ihren Standpunkt klar gemacht – dass sie kein Dummchen war und nicht mit ihm in einem Raum allein sein wollte.
Nun, wie sollte sie es sich in einem Raum ohne Stühle bequem machen? Sie begnügte sich damit, bis zum Tisch zu gehen, der ihr nur bis an die Knie reichte, und das Tablett in Augenschein zu nehmen, auf dem sich ein Laib Brot, ein kleiner, runder Käse und eine von purpurnen Weintrauben überquellende Schale befanden. Sie sah nirgends Essbesteck, noch Sitzgelegenheiten und fragte sich voller Unbehagen, ob ihr Misstrauen hinsichtlich Wynters Absichten vielleicht gerechtfertigt war.
Sie konnte das Aroma des Frühlings riechen, das aus der Obstschale aufstieg. Sie beugte sich hinab und sog den frischen Duft der Früchte ein, der sich mit dem heimeligen Wohlgeruch des Brotes vermischte.
Wynters Stimme ließ sie hochfahren. »Bitte, Lady Miss Charlotte, nehmen Sie sich doch.«
Er stand in der Tür im Gegenlicht und zu ihrer Erleichterung war er bekleidet, in einem korrekten Herrenanzug, zu dem lediglich die Schuhe fehlten. Seine Füße waren nackt. »Nein, danke, Mylord. Ich habe bereits das Abendessen eingenommen.«
»Nehmen Sie, nehmen Sie, nehmen Sie! Ich kann nicht so viele Trauben essen, sonst bekomme ich Blähungen.«
Sie erstickte beinahe bei dem Versuch, einen spitzen Schrei zu unterdrücken – oder einen Lachanfall. Unter Wynters Einfluss verwischte sich allmählich der Unterschied. Um ein wenig Zeit zu gewinnen, brach sie eine Beere ab und steckte sie in den Mund. Sie war süß, wunderbar frisch und voller Kerne, und während sie die Kerne diskret aus dem Mund entfernte, rauschte er wie eine Naturgewalt in das Zimmer. Er trug eine schwarze Weste, schwarze Hosen und ein weißes Hemd und, abgesehen von seinen bloßen Füßen, hätte man ihn ohne weiteres für einen gewöhnlichen Adligen halten können. Sein Hemd stand ein wenig offen und entblößte einen zarten Schatten krauser Härchen. Seine muskulösen Schenkel zeichneten sich unter den Hosen ab. Und sie konnte diese Füße nicht ignorieren. Sie konnte einfach nicht.
Er trat ins Licht und nahm seine gewohnte Haltung an, die Beine gespreizt, die Fäuste in die Taille gestemmt, das Kinn herrschaftlich in die Höhe gereckt. »Also, fangen wir an.«
Hastig schleuderte sie die Traubenkerne ins Kaminfeuer und nahm sich zusammen. »Jawohl, das werden wir. Ich möchte vorausschicken, dass ich die Aufgabe, Sie gesellschaftsfähig zu machen, nicht gerne übernommen habe, aber ich werde mein Bestes tun.«
»Ja, ja. Ich weiß. Sie sind eine Frau, die immer ihr Bestes tut. Das steht ganz außer Frage. Nun, womit fangen wir an?«
Sie war verärgert, dass er ihre wohl durchdachte Empfangsrede unterbrochen hatte, bewahrte aber den Anschein von Gelassenheit. »Ganz gewiss ist Ihre Vorliebe, über allzu persönliche Angelegenheiten zu sprechen, das erste Thema, mit dem wir uns befassen sollten.«
Er legte den Kopf schief. »Persönliches? Ich soll nicht mehr über meine Kinder sprechen?«
»Nein. Persönliches, so weit es sich auf Ihren Körper bezieht. Wir sprechen nicht über … Organtätigkeiten, wenigstens nicht im Gespräch mit einem Vertreter des anderen Geschlechts.« Sie wartete, während er über ihre sprachlichen Verschleierungen nachdachte.
Sein Gesicht hellte sich auf. »Ach! Ich soll nicht über meine Blähungen sprechen.«
»Ganz bestimmt nicht … nein. Und keine Erörterungen physischer Beschwerden oder Krankheiten.«
»Aber die
schicklichen
Damen und Herren fragen immer, wie es mir geht.«
Sie überging seinen angedeuteten Spott. »Eine rein rhetorische Frage. Wenn jemand Sie nach Ihrem Befinden fragt, lautet die korrekte Antwort, ›Danke. Es geht mir gut und wie geht es Ihnen?‹«
»Das erklärt, weshalb die meisten Damen mich bei der Begrüßung nicht mehr nach meinem
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