Rebellische Herzen
zog viele bewundernde Blicke auf sich – genau wie Wynter. »Ich hatte wirklich nicht vor, dich vor dem Empfang für die Sereminianer in die Gesellschaft einzuführen. Aber wenn Lady Howard, diese Schlange, meint, sie könne ihre Abendgesellschaften die ganze Saison lang mit Geschichten über dein barbarisches Benehmen unterhalten, dann zwingt sie mich zu kontern. Also los. Geben wir ihr die Gelegenheit, dir ins Gesicht zu sehen und an ihrem eigenen stinkenden Geschwätz zu ersticken.«
Es entging Wynter nicht, dass seine Mutter zwar fauchte wie eine Tigerin, die ihr junges verteidigte, aber keineswegs sagte, er wäre kein Barbar.
»Und wenn es nicht klappt?«
»Dann habe ich wirklich jeden Instinkt verloren.«
»Und? Hast du ihn verloren?«
»Das glaube ich nicht. Ich habe allerdings mit dem Gedanken gespielt, Tante Jane und Onkel Ransom dazu zu bitten. Aber unglücklicherweise befinden sich die beiden auf einer Italienreise.«
»Das letzte Mal als Onkel Ransom Tante Jane auf eine Italienreise mitgenommen hat, kam sie mit dickem Bauch zurück.«
»Das ist lange her. Und Jane sagte, es sei passiert, gleich nachdem sie sich Michelangelos David angesehen habe.« Adornas Blick verlor sich in der Ferne. »Die Statue muss wirklich sehr beeindruckend sein.«
»Das habe ich auch gehört.«
Adorna sinnierte noch ein wenig über die Macht der Kunst, dann zuckte sie die Alabasterschultern. »Sie würden ihre Reise sicher nur ungern abbrechen, aber für dich hätten sie es getan.«
Wynter erinnerte sich mit einer Mischung aus Bewunderung und Grauen an Onkel Ransom. Und Tante Jane konnte, ihrer abgehobenen Künstlerinnenattitüde zum Trotz, zur Furie werden, wenn ihr danach war. »Wäre ich an Lady Howards Stelle, würde ich den beiden jedenfalls nicht begegnen wollen, wenn sie schlechter Laune sind.«
»Allein dafür hätte es sich gelohnt, die zwei herzuholen«, sagte Adorna mit einem heimlichen Grinsen.
Wynter wusste, wie sehr seine Mutter all diese Spielchen und gesellschaftlichen Verwicklungen liebte, und wie sie permanent ihre Vormachtstellung behauptete. Adorna schwebte, leicht wie eine Elfe, durch alle Skandalstürme.
Er selbst war mehr wie Onkel Ransom. Es hätte ihm genügt, auf Austinpark Manor zu bleiben, die Kinder groß zu ziehen, zu reiten und von Charlotte Lektionen zu erhalten, die mit ihrer heiß geliebten Etikette nichts zu tun hatten.
Stattdessen fuhr er täglich nach London und besuchte die Clubs, die Boxarenen und die Theater. Überall dort, wo sich die Direktoren seiner Firma gerade aufhielten, tauchte auch Wynter auf und spielte den überheblichen, dummen August derart überzeugend, dass er jeder Schauspieltruppe zur Ehre gereicht hätte. Er grinste Shilbottle dümmlich an, schlug Hodges jovial auf die Schulter, wettete mit Sir Drakely und betrank sich mit Read. Wenn er genügend idiotische Fragen gestellt und alle von seiner Dummheit überzeugt hatte, ging er ins Büro und prüfte die Bücher.
Aber noch konnte Wynter den Bastard, der in seiner Abwesenheit Geld der Firma unterschlagen hatte, nicht beim Namen nennen. Schlimmer. Die Bücher wiesen jetzt auf einmal unerklärliche Gewinne aus. Was eine Unterschlagung bezweckte, war ihm klar. Aber warum sollte jemand unter der Hand Geld in die Firma pumpen? Wollte da jemand einen Revisor irreleiten oder hatte der Betrüger plötzlich Angst, weil Wynter zurück war?
Seine Mutter hatte ihn gedrängt, Stewart ins Vertrauen zu ziehen. Stewart, hatte sie gesagt, wisse mehr übers Geschäft als jeder andere und Stewart sei es schließlich auch gewesen, von dem der Brief an Wynter gekommen war. jener Brief, in dem er von den Unregelmäßigkeiten berichtet und Wynter um Rückkehr gebeten hatte.
Doch aus Wynters Sicht hatte Stewart möglicherweise mehr Grund als jeder andere, sich einer Einmischung zu widersetzen. Wynter vertraute niemandem. Er hatte Mutter nach Vaters Tod einfach mit der Firma allein gelassen, jetzt musste er zumindest dem Betrüger eine Falle stellen.
Genauso wie Charlotte. Wynter hatte Stunden damit verbracht, die Falle für Charlotte zu konstruieren und bis jetzt nur einen Kuss erbeutet.
Aber die Zeit war gut investiert gewesen, denn in jenem Kuss hatten die Lust und die Träume einer unberührten Frau gelegen.
Und er bezweifelte, dass Lady Miss Charlotte wirklich verstand, wie sehr sich ihr Leben verändern würde – und zwar zum Besseren.
»Wynter, darf ich dich mit Lady Smithwick bekannt machen?«, sagte Adorna. »Du
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