Rebellische Herzen
gekündigt war? Charlotte versuchte, ihre Befürchtung in Worte zu fassen, aber ihr fehlte der Mut. Falls sie entlassen war, reichte es, wenn sie es morgen erfuhr. Sie warf einen letzten Blick auf sein ernstes Gesicht und flüchtete.
Wynter erhob sich erst nach geraumer Zeit von seinem Lager, streckte sich und wünschte, die Beduinen wären keine solchen Moralapostel gewesen. Die fünf Jahre ohne Frau waren eine lange Zeit gewesen und hatten seine Gemütsruhe arg strapaziert. Vor allem in diesem Moment, da er entschieden hatte, wer seine nächste Ehefrau werden würde.
Charlotte. Lady Miss Charlotte. Eine Jungfrau bester Herkunft von makelloser Reputation. Eine Frau ohne Familie, was jeden Loyalitätskonflikt im Keim erstickte. Sie würde ihm Ehefrau und den Kindern eine Mutter sein. Und sie würde sich ganz der Aufgabe widmen, ihn glücklich zu machen. So wie es sein sollte.
Er lächelte, als er ihre Hinterlassenschaften zusammensuchte. Das Buch und die Schuhe, die sie Abend für Abend so unwillig auszog. Er würde sie ihr geben – sobald sie zur nächsten Lektion erschien.
Unglücklicherweise war es den englischen Frauen gestattet, einen Mann abzuweisen. Ein, seiner Meinung nach, scheußliches Zugeständnis. Zumal jetzt, wo sein Jagdinstinkt dem Paarungstrieb gewichen war.
Er ging in sein Schlafzimmer, stieg in die Reitstiefel und rannte nach unten.
Seine erste Frau hatte nicht von ihm verlangt, dass er ihr den Hof machte, wie die Engländerinnen das wollten. Seine erste Frau hatte sich nachts in sein Zelt geschlichen, sich neben seinen Füßen zusammengerollt und ihm so zu verstehen gegeben, was sie wollte. Ein gewagtes Manöver, denn er hätte sie zurückweisen können. Dann hätte man sie als Hure gebrandmarkt und aus dem Stamm verstoßen. Aber Dara hatte ihr Ziel klug ausgesucht. Er hatte sie geheiratet, ihre sterbende Mutter aufgenommen und zwei Kinder mit ihr gezeugt.
Als Wynter die Stufen herunterkam, erhob sich einer der Diener von seinem Platz im Korridor und öffnete ihm die Eingangspforte. Er sog die frische, kühle Luft ein. Barakah hatte immer gesagt, Wynter habe die Augen eines Falken und er hatte Recht gehabt. Er ging mit festem Schritt auf die Stallungen zu und nahm alles wahr, was um ihn herum kreuchte und fleuchte. Eine gute Nacht für einen Ausritt – und um sich zu erinnern.
Er hatte Dara nie geliebt. Aber Barakah hatte ihm erklärt, dass Liebe eine Illusion der westlichen Welt war. Ein wahrer Mann liebte seine Frau nicht. Er lebte mit ihr, erlaubte ihr, ihn zu verwöhnen und revanchierte sich dafür. Er aß, was sie kochte und hörte sich ihr Gezanke an. Ohnehin waren eines wahren Mannes Gefährten seine Hunde, seine Pferde und die anderen Männer.
All das hatte sich als zutreffend erwiesen. Aber als Dara gestorben war, hatte er heftig um sie getrauert. Er hatte eine Frau verloren, die nicht nur gut kochte und ordentlich zankte, sondern Ach eine scharfsinnige Beraterin war und eine gute Mutter. Vor allem aber hatte er den Anker verloren, der ihm im Stamm Halt gegeben hatte.
Der nächtliche Himmel war sternenübersät. Im Stall brannte eine einsame Lampe. Wynter ging hinein und nickte dem Stallknecht zu, der im trüben Licht arbeitete.
»Wieder da, Mylord?«, sagte Fletcher.
»Ja.« Wynter ging zu seinem Pferd und ließ sich von dem Hengst beschnüffeln. Dann betrat er die Box und streichelte das mächtige Tier. Er hatte sein Lieblingspferd in EI Bahar zurücklassen müssen und obwohl dieses hier Jabir in nichts nachstand, schmerzte der Verlust noch immer. Genauso wie der Abschied von seinen arabischen Freunden und dem freien, draufgängerischen Leben, das ihn zum Mann gemacht hatte.
Auf ihrem Sterbebett hatte Dara ihm prophezeit, dass er den Stamm verlassen müsse, sobald Barakah gestorben war. Sie hatte Recht behalten. Barakah war in den folgenden vier Jahren zusehends gebrechlicher geworden und eines Nachts in die Wüste verschwunden, um einen ehrenvollen Tod zu sterben. Für den neuen Stammesführer, einen jungen und sehr engstirnigen Mann, hatte Wynter eine Bedrohung dargestellt. Trotzdem hatte er, der Kinder wegen, versucht zu bleiben.
Er führte Mead aus der Box, ließ sich von Fletcher das Zaumzeug reichen und legte es dem Hengst an. Er griff die Zügel und saß auf.
»Sie haben 'ne Hand für so'n Biest, Mylord.« Fletcher hatte, wie üblich, eine kalte Pfeife im Mundwinkel hängen. »Gibt's Selten, sowas.«
Wynter kannte Fletcher gut genug, um zu wissen, dass er ihm
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