Rebus - 09 - Die Sünden der Väter
ist in dem heiklen Punkt aufrichtig gewesen, also kann man ihm in den übrigen Punkten wahrscheinlich auch Glauben schenken. Es gab zwar keinerlei Unterlagen darüber, dass ein Joseph Lintz je in einem SS-Regiment gedient hätte. Doch andererseits hatte die SS, sobald sie erkannt hatte, welche Wendung der Krieg nahm, selbst einen Großteil ihrer Akten vernichtet. Was seine Militärzeit anbelangte, blieb Lintz ebenfalls im Unbestimmten. Er machte für seine Erinnerungslücken eine Kriegsneurose verantwortlich. Aber er beteuerte, er habe niemals Linzstek geheißen und nie im Departement Correze oder sonst wo in Frankreich gedient.
»Ich war im Osten«, erklärte er. »Dort haben mich die Alliierten gefunden, im Osten.«
Das Problem war, dass es keine überzeugende Erklärung dafür gab, wie Lintz nach Großbritannien gelangte. Er gab an, er habe beantragt, dorthin ausreisen zu dürfen, um ein neues Leben anzufangen. Ins Elsass habe er nicht zurückgewollt, oder überhaupt in die Nähe der Deutschen. Zwischen denen und ihm sollte genügend Wasser liegen. Wieder gab es keinerlei Unterlagen, die diese Aussage untermauert hätten. Mittlerweile hatten die jüdischen Stellen, die den Holocaust untersuchten, eigenes »Beweismaterial« vorgelegt, das Lintz mit der so genannten »Rattenlinie« in Verbindung zu bringen schien.
»Haben Sie je was von der ›Rattenlinie‹ gehört«, hatte Rebus ihn bei ihrem ersten Treffen gefragt.
»Natürlich«, hatte Joseph Lintz geantwortet. »Aber ich hatte nie etwas damit zu tun.«
Lintz: im Salon seines Domizils in der Heriot Row. Ein elegantes viergeschossiges georgianisches Gebäude. Ein riesiges Haus für einen allein stehenden Mann. Rebus hatte diesen Punkt angesprochen. Lintz hatte lediglich mit den Achseln gezuckt, was sein gutes Recht war. Woher hatte er das Geld dafür gehabt?
»Ich habe hart gearbeitet, Inspector.«
Vielleicht, aber Lintz hatte das Haus Ende der Fünfzigerjahre gekauft, angeblich von einem kleinen Dozentengehalt. Ein Kollege von damals verriet Rebus, dass seinerzeit alle im Institut vermutet hätten, Lintz habe ein privates Einkommen gehabt. Doch der stritt dies ab.
»Stadthäuser waren damals billiger, Inspector. Begehrt waren Anwesen auf dem Land und Bungalows.«
Joseph Lintz: knapp anderthalb Meter groß, Brillenträger. Pergamenthände mit Altersflecken. Am Handgelenk eine Ingersoll-Uhr von vor dem Krieg. An den Wänden seines Salons verglaste Bücherregale. Anthrazitfarbene Anzüge. Die fast weiblich wirkende Eleganz seiner ganzen Art: wie er eine Tasse an die Lippen führte; wie er Staubpartikel von seiner Hose wischte.
»Ich mache den Juden keinen Vorwurf«, hatte er gesagt. »Wenn sie könnten, würden sie jeden auf die Anklagebank setzen. Am liebsten wäre es ihnen, wenn sich die ganze Welt schuldig fühlte. Vielleicht haben sie ja Recht.«
»In welcher Hinsicht, Sir?«
»Hat nicht jeder von uns seine kleinen Geheimnisse, Dinge, deren er sich schämt?« Lintz hatte gelächelt. »Sie spielen ihr Spiel mit, und das ist Ihnen nicht einmal bewusst.«
Rebus hatte nicht locker gelassen. »Die zwei Namen sind sich doch sehr ähnlich, oder? Lintz, Linzstek.«
»Natürlich, sonst hätten ihre Anschuldigungen auch keinerlei Grundlage. Denken Sie doch einmal nach, Inspector: Hätte ich meinen Namen nicht gründlicher verändert? Trauen Sie mir nicht ein Mindestmaß an Intelligenz zu?«
»Mehr als ein Mindestmaß.« Gerahmte Diplome an den Wänden, ehrenhalber verliehene akademische Grade, Fotos, auf denen er zusammen mit Rektoren, Politikern zu sehen war. Als der Farmer ein bisschen mehr über Joseph Lintz erfahren hatte, riet er Rebus, »ja vorsichtig« zu sein. Lintz war ein Förderer der Künste - Oper, Museen, Galerien -und ein Gönner zahlreicher wohltätiger Organisationen. Er hatte Freunde . Aber er war gleichzeitig auch ein Einzelgänger, jemand, der sich am liebsten um die Wiederherstellung von Grabstätten auf dem historischen Warriston Cemetery kümmerte. Dunkle Tränensäcke über den hohlen Wangen. Schlief er nachts gut?
»Wie ein Lamm, Inspector.« Ein weiteres Lächeln. »Von der Opfersorte. Wissen Sie, ich mache Ihnen keinen Vorwurf. Sie tun nur Ihre Arbeit.«
»Ihre Nachsicht scheint keine Grenzen zu kennen, Mr. Lintz.«
Ein bedächtiges Achselzucken. »Kennen Sie Blakes Worte, Inspector? ›Und all die Ewigkeit hindurch /Vergebe ich dir, vergibst du mir.‹ Ich bin mir allerdings nicht so sicher, ob ich den Medien vergeben kann.«
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