Rebus - 09 - Die Sünden der Väter
Schloss. Die Tür flog auf und knallte der Frau ans Knie. Er zwängte sich hinein. Ihr Gesicht nahm allmählich eine violette Färbung an.
»Halten Sie ihr die Hände fest!«, befahl er der Beamtin. Dann begann er, ihr das Papier aus dem Mund zu ziehen, meterweise weißes Papier. Er kam sich dabei vor wie ein drittklassiger Zauberkünstler. Da schien eine halbe Rolle drin zu sein, und als Rebus' Augen denen der Beamtin begegneten, brachen beide in ein fast unwillkürliches Lachen aus. Die Frau hatte aufgehört, sich zu wehren. Ihr Haar war mausbraun, strähnig und fettig. Sie trug eine schwarze Skijacke und einen eng anliegenden schwarzen Rock. Ihre nackten Beine waren rot marmoriert, und an dem einen Knie, wo die Tür sie getroffen hatte, bildete sich allmählich ein Bluterguss. Ihr knallroter Lippenstift verwischte unter Rebus' Fingern immer mehr. Sie weinte. Rebus hatte ein schlechtes Gewissen wegen seines plötzlichen Heiterkeitsausbruchs und kauerte sich hin, so dass er der Frau in die schwarz verschmierten Augen sehen konnte. Sie blinzelte, erwiderte dann seinen Blick und hustete, als der letzte Rest Klopapier endlich entfernt war.
»Sie ist Ausländerin«, erklärte die Polizistin. »Scheint kein Englisch zu sprechen.«
»Wie konnte sie Ihnen dann sagen, dass sie auf die Toilette musste?«
»Es gibt Mittel und Wege, oder?«
»Wo haben Sie sie gefunden?«
»Auf der Pleasance, frech wie Rotz.«
»Ist mir neu als Strich.«
»Mir auch.«
»Niemand bei ihr?«
»Nicht, soweit ich sehen konnte.«
Rebus fasste die Frau an den Händen. Er kauerte noch immer vor ihr, spürte die Berührung ihrer Knie an seiner Brust.
»Geht's jetzt?« Sie blinzelte bloß. Er bemühte sich um eine Miene höflicher Anteilnahme. »Jetzt wieder okay?« Sie nickte schwach. »Okay«, sagte sie mit heiserer Stimme. Rebus tastete ihre Finger ab. Sie waren kalt. Er dachte nach: Junkie? Viele Professionelle waren das. Aber ihm war noch nie eine untergekommen, die kein Englisch sprach. Dann drehte er ihre Hände um, sah ihre Handgelenke. Ein Zickzack frisch vernarbter Schnittwunden. Sie leistete keinen Widerstand, als er einen Ärmel ihrer Jacke hochschob. Der Unterarm war von ähnlichen Narben übersät.
»Eine Schnipplerin.«
Jetzt redete die Frau, plapperte wirr drauflos. Kirstin Mede, die sich bislang nicht an der Aktion beteiligt hatte, trat näher. Rebus sah zu ihr hoch.
»Nicht meine Region... nicht ganz. Was Osteuropäisches.«
»Probieren Sie es mal mit was anderem.«
Also stellte ihr Mede eine Frage auf Französisch und wiederholte sie dann in drei oder vier anderen Sprachen. Die Frau schien zu begreifen, dass sie sich mit ihr zu verständigen versuchte.
»An der Uni findet sich wahrscheinlich jemand, der Ihnen helfen könnte«, erklärte Mede.
Rebus richtete sich langsam auf. Die Frau klammerte sich an seine Knie und zog ihn zu sich heran, so dass er fast das Gleichgewicht verlor. Ihr Griff war fest, ihr Gesicht drückte gegen seine Schenkel. Sie weinte und stammelte noch immer vor sich hin.
»Ich glaube, sie mag Sie, Sir«, meinte die Polizistin. Sie lösten gewaltsam ihre Hände, und Rebus machte einen Schritt zurück, aber sie stürzte unvermittelt auf ihn zu, wie eine Bettlerin. Jedes Mal wenn Rebus einen Schritt zurücktrat, krabbelte sie ihm auf allen vieren hinterher. Rebus sah sich nach dem Ausgang um, aber der war von einer Menschentraube versperrt. Aus dem drittklassigen Zauberkünstler war ein Nebendarsteller in einer Comedy-Nummer geworden. Die Beamtin packte die Frau, stellte sie wieder auf die Beine und drehte ihr dabei einen Arm hinter den Rücken.
»Komm schon«, sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen. »Zurück in die Zelle. Die Show ist vorbei, Leute.« Es gab plätschernden Applaus, als die Gefangene abgeführt wurde. Sie sah sich einmal um, suchte mit flehenden Augen nach Rebus. Worum sie flehte, wusste er nicht. Also wandte er sich an Kirstin Mede.
»Lust auf einen Curry, so bei Gelegenheit?« Sie sah ihn an, als sei er übergeschnappt.
»Zweierlei: Erstens, sie ist bosnische Muslimin. Zweitens, sie möchte Sie wieder sehen.«
Rebus starrte den Mann aus dem slawistischen Seminar an, der auf Kirstin Medes Bitte hin gekommen war. Sie standen auf dem Korridor der St.-Leonard's-Wache.
»Bosnierin?«
Dr. Colquhoun nickte. Er war klein und fast kugelförmig und hatte langes schwarzes Schläfenhaar, das er zu beiden Seiten einer kuppelförmigen Glatze zurückgekämmt trug. Sein aufgeschwemmtes
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