Rebus - 09 - Die Sünden der Väter
Gesicht war mit Pickelnarben übersät, sein brauner Anzug abgetragen und fleckig. Er trug wildlederne Hush Puppies in der gleichen Farbe wie sein Anzug. Das , musste Rebus unwillkürlich denken, ist endlich mal ein Unimensch, der auch wie einer aussieht! Colquhoun war ein einziges Konglomerat von nervösen Ticks.
»Ich bin kein Bosnien-Experte«, fuhr er fort, »aber sie sagt, sie sei aus Sarajevo.«
»Sagt sie auch, wie sie in Edinburgh gelandet ist?«
»Ich habe sie nicht gefragt.«
»Hätten Sie was dagegen, sie jetzt zu fragen?« Rebus deutete zum Ende des Korridors. Die zwei Männer gingen zurück; Colquhoun starrte dabei auf den Boden.
»Sarajevo hat im Krieg schwer gelitten«, erklärte er. »Sie ist übrigens zweiundzwanzig, das hat sie mir gesagt.« Sie hatte älter ausgesehen. Vielleicht stimmte es ja; vielleicht log sie. Aber als sich die Tür des Vernehmungsraums öffnete und Rebus sie zum zweiten Mal sah, fiel ihm auf, wie unfertig ihr Gesicht wirkte, und er korrigierte ihr Alter nach unten. Als er eintrat, stand sie sofort auf, so, als wollte sie jeden Augenblick auf ihn zustürzen. Doch er hob warnend eine Hand und deutete auf den Stuhl. Sie setzte sich wieder hin und legte die Hände um einen Becher schwarzen Tee. Dabei wandte sie kein Auge von Rebus.
»Sie ist ein großer Fan von Ihnen«, sagte die Beamtin. Die Polizistin - dieselbe wie im Toilettenraum - hieß Ellen Sharpe. Sie saß auf dem zweiten Stuhl. Der Vernehmungsraum war nicht sehr geräumig; viel mehr als ein Tisch und zwei Stühle passten nicht hinein. Auf dem Tisch standen zwei identische Videorekorder und ein Doppeltapedeck. Die Videokamera äugte von einer Wand herunter. Rebus bedeutete Sharpe mit einer Handbewegung, den Stuhl für Colquhoun zu räumen.
»Hat sie Ihnen gesagt, wie sie heißt?«, fragte er den Unimann.
»Sie sagte ›Candice‹.«
»Sie glauben ihr nicht?«
»Das klingt nicht gerade bosnisch, Inspector.« Candice sagte etwas. »Sie meint, Sie seien ihr Beschützer.«
»Und wovor beschütze ich sie?«
Der Dialog zwischen Colquhoun und Candice klang hart, guttural.
»Sie sagt, zuerst haben Sie sie vor sich selbst beschützt. Und jetzt, müssen Sie weitermachen.«
»Sie weiter beschützen?«
»Sie sagt, sie gehöre jetzt Ihnen.«
Rebus starrte den Unimann an, der wiederum Candice' Arme fixierte. Sie hatte ihre Skijacke ausgezogen.
Darunter trug sie ein geripptes kurzärmliges Leibchen, durch das sich ihre kleinen Brüste abzeichneten. Sie hatte die nackten Arme verschränkt, aber die Kratzer und Schnittwunden waren deutlich zu sehen.
»Fragen Sie sie, ob sie sich die selbst zugefügt hat.«
Colquhoun tat sich mit der Übersetzung sichtlich schwer. »Mein Metier sind eher Literatur und Film als... äh...«
»Was sagt sie?«
»Dass sie es selbst gemacht hat.«
Rebus blickte sie fragend an, und sie bestätigte es mit einem langsamen Nicken und einer leicht beschämten Miene.
»Wer schickt sie anschaffen?«
»Wie meinen...?«
»Wer schickt sie auf den Strich? Wer ist ihr Zuhälter?« Ein weiterer kurzer Dialog.
»Sie sagt, sie versteht nicht.«
»Streitet sie ab, als Prostituierte zu arbeiten?«
»Sie sagt, sie versteht nicht.«
Rebus wandte sich an die Beamtin. »Nun?«
»Ein paar Autos haben gehalten. Sie hat den Kopf durchs Fenster gestreckt und mit den Fahrern geredet. Sie sind weitergefahren. Die Ware hat ihnen wohl nicht zugesagt.«
»Wenn sie kein Englisch kann, wie konnte sie dann mit den Fahrern ›reden‹?«
»Es gibt Mittel und Wege.«
Rebus sah Candice an. Er begann, sehr leise auf sie einzureden. »Einfacher Fick fünfzehn, Blasen zwanzig. Ohne Gummi einen Fünfer extra.« Er schwieg kurz. »Was kostet anal, Candice?« Blut schoss ihr in die Wangen. Rebus lächelte.
»Vielleicht war sie nicht auf der Uni, aber irgendjemand hat ihr ein paar Worte Englisch beigebracht. Gerade so viel, wie sie für die Arbeit braucht. Fragen Sie sie noch mal, wie sie hierher gekommen ist.«
Colquhoun wischte sich erst das Gesicht ab. Während sie sprach, hielt Candice den Kopf gesenkt.
»Sie sagt, sie habe Sarajevo als Flüchtling verlassen. Erst Amsterdam, von da aus nach Großbritannien. Das Erste, woran sie sich erinnern kann, ist ein Ort mit vielen Brücken.«
»Brücken?«
»Dort habe sie eine Zeit lang gewohnt.« Die Geschichte schien Colquhoun erschüttert zu haben. Er reichte Candice ein Taschentuch, damit sie sich die Augen abtrocknen konnte. Sie belohnte ihn mit einem Lächeln. Dann
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