Rebus - 09 - Die Sünden der Väter
zurückgelehnt, die Füße auf dem Schreibtisch. Sie wirkten beide entspannt, selbstsicher. Rebus konnte sich vorstellen, wie er aussah: wie ein Bär im Käfig.
»Ich will wissen, wo sie ist.«
»Wer?«
»Candice.«
Telford lächelte. »Immer noch mit ihr beschäftigt, Inspector? Woher sollte ich wissen, wo sie ist?«
»Weil ein paar Ihrer Jungs sie sich geschnappt haben.« Aber noch während er sprach, erkannte Rebus, dass er sich irrte. Telfords Gang war eine Familie: Sie waren alle in Paisley aufgewachsen. Und es gab nicht allzu viele Dunfermline-Fans so weit von Fife. Er starrte Pretty-Boy an, Telfords Oberzuhälter. Nach Edinburgh war Candice aus einer Stadt mit vielen Brücken gekommen, möglicherweise Newcastle. Telford hatte Beziehungen in Newcastle. Und das Trikot von Newcastle United - senkrechte schwarze und weiße Streifen - hatte große Ähnlichkeit mit dem von Dunfermline. Wahrscheinlich lag es für einen Jungen aus Fife nahe, die beiden zu verwechseln.
Ein Newcastler Trikot. Ein Auto aus Newcastle.
Telford redete, aber Rebus hörte nicht mehr zu. Er verließ das Büro und ging zurück zu seinem Auto. Fuhr nach Fettes - zur Crime-Squad-Zentrale - und machte sich auf die Suche. Er fand eine Kontaktnummer, eine gewisse DS Miriam Kenworthy. Rief an, aber sie war nicht da.
»Scheiß drauf!«, sagte er sich und stieg wieder ins Auto.
Die A 1 war nicht direkt die schnellste Straße des Landes - in dem Punkt hatte Abernethy Recht gehabt. Aber bei dem spärlichen abendlichen Verkehr kam Rebus recht zügig voran. Als er Newcastle erreichte, war es später Abend. Die Pubs leerten sich, vor den Nachtlokalen bildeten sich Schlangen, ein paar United-Trikots standen wie ebenso viele Schwedische Gardinen herum. Er kannte sich in der Stadt nicht aus. Fuhr in Kreisen, immer an denselben Leucht-Schriften und Wahrzeichen vorbei, hielt dann weiter auf die Peripherie zu, ohne bestimmtes Ziel. Auf der Suche nach Candice. Oder nach Mädchen, die sie vielleicht kannten.
Nach ein paar Stunden gab er es auf und kehrte ins Zentrum zurück. Er hatte vorgehabt, im Auto zu übernachten, aber als er ein Hotel mit einem freien Zimmer fand, war die Aussicht auf ein Bad einfach zu verlockend.
Er vergewisserte sich, dass es keine Minibar gab.
Ein langes heißes Bad, die Augen geschlossen, während die Gedanken noch immer nicht zur Ruhe kamen. Dann setzte er sich in einen Sessel am Fenster und lauschte in die Nacht: Taxis und Schreie, Lieferwagen. Er konnte nicht einschlafen. Er legte sich aufs Bett, ließ den Fernseher ohne Ton laufen und erinnerte sich an Candice in dem Hotelzimmer, schlafend inmitten von Schokoladenpapierchen. Deacon Blue: »Chocolate Girl«.
Er wachte bei laufendem Frühstücksfernsehen auf, er räumte sein Zimmer und frühstückte in einem Cafe. Rief anschließend Miriam Kenworthy in ihrem Büro an und stellte zu seiner Erleichterung fest, dass sie eine Frühaufsteherin war.
»Kommen Sie gleich vorbei«, sagte sie in einem leicht abwesenden Ton. »Sie sind nur ein paar Minuten von hier entfernt.«
Sie war jünger, als sie am Telefon geklungen hatte, und ihr Gesicht weicher, als sie sich gab. Ein Milchmädchengesicht, rund, mit rosigen Pausbacken. Sie musterte ihn und drehte ihren Schreibtischstuhl leicht hin und her, während er ihr die Geschichte erzählte.
»Tarawicz«, sagte sie, als er fertig war. »Jake Tarawicz. Richtiger Vorname wahrscheinlich Joachim.« Kenworthy lächelte. »Manche bei uns nennen ihn Mr. Pink Eyes. Er hat ein paar Mal geschäftlich - oder zumindest persönlich -mit diesem Telford zu tun gehabt.« Sie öffnete den braunen Aktendeckel, der vor ihr lag. »Mr. Pink Eyes hat jede Menge europäische Connections. Ist Ihnen Tschetschenien ein Begriff?«
»In Russland?«
»Es ist Russlands Sizilien, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Und da kommt Tarawicz her?«
»Das ist die eine Theorie. Die andere lautet, er sei Serbe. Was erklären könnte, warum er den Konvoi organisiert hat.«
»Was für einen Konvoi?«
»Lastwagen mit Hilfslieferungen für das ehemalige Jugoslawien. Ein echter Menschenfreund, unser Mr. Pink.«
»Aber auch eine Möglichkeit, Menschen außer Landes zu schmuggeln?« Kenworthy sah ihn an. »Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht.«
»Nennen Sie es eine wohl begründete Vermutung.«
»Tja, es verschafft ihm Aufmerksamkeit. Vor sechs Monaten ist er vom Papst gesegnet worden. Ist mit einer Engländerin verheiratet - nicht aus Liebe. Sie war eins seiner
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