Rebus - 09 - Die Sünden der Väter
Raucher herum, eine kleine Bruderschaft von Ausgestoßenen. Als er wieder ins Büro kam, wollte der Farmer wissen, ob in Sachen Lintz irgendwelche Fortschritte zu vermelden seien.
»Vielleicht sollte ich ihn herholen und ihm ein bisschen die Visage polieren«, schlug Rebus vor.
»Etwas mehr Ernst, wenn ich bitten darf!«, knurrte der Farmer und marschierte zurück in sein Büro. Rebus setzte sich an seinen Schreibtisch und zog eine Akte zu sich heran.
»Ihr Problem, Inspector«, hatte Lintz einmal zu ihm gesagt, »ist, dass Sie Angst haben, ernst genommen zu werden. Sie möchten den Leuten das bieten, was sie Ihrer Meinung nach von Ihnen erwarten. Ich erwähne das Ischtartor, und Sie erzählen was von einem Hollywoodfilm. Anfangs dachte ich, das habe den Zweck, mich in Sicherheit zu wiegen, damit ich mich vielleicht verplaudere, aber mittlerweile scheint das eher ein Spiel zu sein, das Sie gegen sich selbst spielen.«
Rebus: in seinem gewohnten Sessel in Lintz' Salon. Das Fenster gewährte einen Blick auf die Queen Street Gar- dens. Der Park war ständig abgeschlossen; für den Schlüssel musste man bezahlen.
»Machen Ihnen gebildete Menschen Angst?« Rebus sah den alten Mann an. »Nein.«
»Sind Sie sich da sicher? Wünschen Sie sich nicht vielleicht, selbst so wie sie zu sein?« Lintz grinste und bleckte dabei kleine verfärbte Zähne. »Intellektuelle sehen sich gern als Opfer der Geschichte: Außenseiter, die mit Argwohn betrachtet, wegen ihrer Überzeugungen festgenommen, ja sogar gefoltert und ermordet werden. Aber Karadzic hält sich auch für einen Intellektuellen. Die Nazihierarchie hatte ihre eigenen Denker und Philosophen. Und selbst in Babylon...« Lintz stand auf, goss sich Tee nach. Rebus lehnte dankend ab.
»Selbst in Babylon, Inspector«, fuhr Lintz fort, während er es sich wieder bequem machte, »mit all seinem Reichtum und seinen Künsten, mit seinem weisen König... wissen Sie, was da geschah? Nebukadnezar hielt die Juden siebzig Jahre lang gefangen. Diese prächtige, Ehrfurcht gebietende Kultur... Erkennen Sie allmählich den Irrsinn, Inspector, die Perversion, die so tief in uns allen sitzt?«
»Vielleicht müsste ich mir eine Brille anschaffen.«
Lintz schleuderte seine Tasse quer durch den Raum. »Zuhören müssten Sie, und lernen! Sie müssen begreifen!« Tasse und Untertasse lagen unversehrt auf dem Teppich.
Tee sickerte in die kunstvollen Muster ein, wo er bald nicht mehr zu sehen sein würde...
Er parkte auf dem Buccleuch Place. Das Slawistische Seminar war in einem der großen mehrstöckigen Gebäude untergebracht. Er versuchte es erst im Sekretariat, fragte, ob Dr. Colquhoun im Haus sei.
»Ich habe ihn heute noch nicht gesehen.«
Als Rebus erklärte, worum es ihm ging, telefonierte die Sekretärin ein bisschen herum, konnte aber niemanden erreichen. Dann schlug sie vor, er könne sich einen Stock höher in der Institutsbibliothek umsehen; da sie immer abgeschlossen sei, gab sie ihm einen Schlüssel.
Der Raum war um die drei mal vier Meter groß und seit langem nicht mehr gelüftet worden. Die Fensterläden waren geschlossen, so dass kein Tageslicht hereindrang. Auf einem der vier Lesetische stand ein Schild mit der Aufschrift RAUCHEN VERBOTEN. Auf einem anderen ein Aschenbecher mit drei ausgedrückten Stummeln. Eine ganze Wand war mit Regalen bedeckt, bis obenhin voll mit Büchern, Broschüren, Zeitschriften. Außerdem gab es Archivboxen mit Zeitungsausschnitten und an den Wänden Landkarten, die den wechselnden Verlauf der innerjugoslawischen Grenzen zeigten. Rebus holte die Box mit den aktuellsten Ausschnitten aus dem Regal.
Wie viele Leute aus seinem Bekanntenkreis, wusste Rebus nicht viel über den Krieg im ehemaligen Jugoslawien. Er hatte im Fernsehen ein paar Berichte gesehen, war über die Bilder schockiert gewesen und dann wieder zur Tagesordnung übergegangen. Aber wenn man den Ausschnitten Glauben schenken durfte, war die ganze Region fest in den Händen von Kriegsverbrechern. Die IFOR schien ihr Bestes getan zu haben, um jeglicher Konfrontation aus dem Weg zu gehen. In letzter Zeit hatte es ein paar Festnahmen gegeben, aber nichts Nennenswertes: Von ohnehin dürftigen vierundsiebzig zur Fahndung ausgeschriebenen Verdächtigen waren lediglich sieben gefasst worden.
Über Mädchenhändler fand er nichts, also bedankte er sich bei der Sekretärin und gab ihr den Schlüssel zurück, dann fuhr er im Schneckentempo durch die verstopften Straßen der Innenstadt. Als
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