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Rechnung offen

Rechnung offen

Titel: Rechnung offen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger-Maria Mahlke
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umarmen, schließlich hatten sie sich die Hand gegeben.
    Claas hatte sie nichts erzählt. Sie wechselte weiterhin von Zeit zu Zeit den Raum, wenn ihr Telefon klingelte, ein Blick aufs Display, »entschuldige mich kurz«, und nach nebenan. Zweimal mit Ebba und einmal mit einer überforderten Doktorandin. Claas’ Blick im Rücken, wohlig im Rücken, dass du das nötig hast, dachte sie.
    *
    Ebba ging am Wäschehaufen vor dem Kleiderschrank vorbei, nackt und auf Zehenspitzen. Mied den Spiegel, gib dir doch ein wenig Mühe, zog die unterste Kommodenschublade auf und griff mit beiden Händen hinein. Blusen und Shirts und Röcke, Hosen stehen dir nicht, ineinander verschlungen, blau, grün, rot, kräftige Farben, du hast so schöne Augen. Um sechs musste sie in Charlottenburg sein, Theresa wollte anstoßen, auf ihre letzte Klausur. Vom Klingeln geweckt, es war Mittag, alles noch weich, war sie gestern aus Versehen ans Telefon gegangen. »Aber du schreibst doch morgen«, waren Theresas ersten Worte gewesen. »Ich hab genug gelernt, ist nur Multiple Choice«, hatte sie geantwortet. Ebba verteilte die Kleidungsstücke auf dem Bett, an den meisten baumelten noch die Pappetiketten. Theresa wickelte die Sachen selten in Papier ein, bestand darauf, dass sie die Bluse, das Shirt, den Rock gleich anprobierte. Du kannst dich hier umziehen. Ich geh kurz ins Bad. Siehst du, sagte Theresa, wenn Ebba wiederkam, und zog irgendetwas glatt oder in die Mitte oder gerade.
    Sie musterte den Stoffhaufen auf der Matratze, fand ein blau-weißes Shirt, es saß eng an den Oberarmen, fiel locker über ihren Bauch, war quergestreift. Meiden Sie Längsstreifen hatte in den Zehn goldenen Regeln für Vollweiber gestanden. Theresa hatte den Artikel aus einer Zeitschrift ausgeschnitten, mit Reißzwecken an der Innenseite der Schranktür befestigt, er hing noch immer dort, an mehreren Stellen eingerissen. Gib dir doch ein wenig Mühe. Theresas Augen hatten stumm Kekse gezählt, es geht mir nicht um dünn, sondern um gesund, sagte sie. Denk nach, sobald Ebba die Hand in Richtung des Tellers ausstreckte. Sieh her, das würde in dein Bad, zu deinen Augen, Haaren passen, Theresa hielt Prospekte hoch, der jeweilige Artikel mit Klebezetteln markiert. Manchmal, wenn sie müde war, sagte Ebba: Ja. Passt gut. Danke.
    Sie nahm einen weißen Rock mit Gummizug als Bündchen, riss das Etikett ab. Einmal hatte sie sich Mühe gegeben, mit schwarzem Lidschatten und Mascara, Smokey eyes hatten sie es in der Zeitschrift genannt. Ihre Pupillen hatten sich gerötet, jede Schulstunde stärker. Adern waren hervorgetreten, weißes Zeug, das zwischen den Fingern Fäden zog, hatte in den Augenwinkeln geklebt. Die Lider schwollen an unter all dem Schwarz, in den Pausen war sie zu den Toiletten gelaufen, die Wände entlang, Blick auf den Boden. Hatte sich nicht getraut, die Schminke mit Wasser abzuwaschen, hatte Angst gehabt, sie zu verteilen, auf ihren Wangen, ihrer Stirn. Englisch hatten sie in der Fünften. »Was hast du heute für einen Schlafzimmerblick«, der Lehrer hatte die Frage nur so hingeworfen nach der Begrüßung, sich nach dem Tafelschwamm umgedreht, »jetzt hört auf zu lachen«, hatte er erstaunt gesagt.
    Nicht atmen, Kauflächen aufeinander, Mundwinkel fest, nicht an schwarze Linien denken, das Tränenbein hinab, die Nasenflügel entlang, Oberlippe, Wangen, zum Kinn. Den Körper kompakt machen, gekrümmter Rückenpanzer, der Nacken eingerollt, dicht flankiert von den Schultern, Kinn zum Hals, Augen parallel zur Tischplatte, die kannte sie gut, Kerben zählen, elf waren es, langsam und deutlich, jede einzelne mit den Augen erfassen, ihrem Verlauf folgen und zählen. Die Beine übereinandergeschlagen, der Bauch sicher verwahrt zwischen vorgebeugtem Oberkörper und Schenkeln, die Unterarme davor verschränkt, Oberarme gegen die Tischkante gepresst. Mach den Schlafzimmerblick, hatten sie noch Monate später gerufen, wenn Ebba auf dem Hof an ihnen vorbeiging, im Sportunterricht.
    Theresa war nachts über ihren Schularbeiten eingeschlafen. Schlank und schön. Claas immer der Schnellste gewesen. Im Rechnen, beim Laufen. Theresa und Claas hatten sich Mühe gegeben. Eine Zeit lang mit Medikamenten, aktivierend würde das Präparat wirken, hatte Claas zu ihr gesagt. Wozu und wohin aktivierend, hatte Ebba gedacht. Hatte sich rasend schnell die Straße entlanglaufen sehen, so schnell, dass sie ihre Beine kaum erkennen konnte, immer hin und her, mit eckigen, abgehackten

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