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Rechnung offen

Rechnung offen

Titel: Rechnung offen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger-Maria Mahlke
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Bewegungen. Hatte die Tabletten morgens, mittags, abends aus der Folie gedrückt und in die Toilette geworfen, die Spülung gezogen.
    Sie nahm die Ringbahn nach Charlottenburg, nahm die falsche Richtung, fuhr außen herum, einen großen Haken, als würde sie sich anschleichen, eine Richtung antäuschen und dennoch ankommen.
    ***
    Sie lag noch immer auf dem Sofa, als er aus der Schule kam, sagte, »ich hab Spätschicht«, sobald Lucas ihre Schulter berührte. Er nahm Zahlenbuch und Federtasche aus dem Ranzen, stellte ihn neben den Schreibtisch. Auf dem Weg in die Küche kam er erneut am Wohnzimmer vorbei, sie hatte das Kissen auf ihr Gesicht gelegt. Lucas nahm eine Handvoll Frosties, vergewisserte sich, dass er den Briefkastenschlüssel eingesteckt hatte, und zog leise die Tür zu. Buch und Mappe klemmte er unter den Oberarm, die Flakes aß er auf dem Weg nach unten. Ümit wollte ihn abholen, seine Mutter kochte, er bekam Ärger, wenn er nach der Schule nicht zum Essen zu Hause war.
    Ümit spähte durch die geriffelte Scheibe der Haustür, ehe er klingelte, sah nach, ob er auf der Treppe saß. Lucas zog ein heraushängendes Werbeblatt aus einem der Briefkastenschlitze und setzte sich auf die unterste Stufe, Zahlenbuch und Stifte legte er neben sich. Einen Düsenjet wollte er falten, klappte zwei Ecken des Zettels akkurat zur Mitte, fühlte mit dem Finger, wie spitz das Papierdreieck war. Ümit würde wieder zu Karstadt wollen. Sie hatte ihm verboten, zum Karlsplatz zu gehen und dort rumzulungern, wie sie sagte. Sie lag auf dem Sofa, er ging trotzdem nicht gern in die Spielzeugabteilung, die Zeit wurde dabei seltsam schwammig,
    Lucas presste die beiden Tragflächen ein letztes Mal aufeinander, nahm den Rumpf zwischen Daumen und Zeigefinger und warf den Flieger in Richtung Haustür. Auf seiner Flugbahn machte der Düsenjet einen Salto und prallte gegen die geriffelte Scheibe. Die Spitze war abgeknickt, als Lucas ihn aufhob, er strich sie wieder glatt und drückte die Tür auf. Dieses Mal warf er mit voller Kraft, der Tornado schoss über die Straße, über die geparkten Autos hinweg, zwischen zwei Platanen durch und landete auf dem Sandweg.
    Er war zufrieden, sah die Promenade hinab, die Tür im Rücken. Der Spielplatz war neu gemacht worden, vorher hatte er den Älteren gehört. Sie hatten an den Geräten gelehnt, geraucht, telefoniert, meist hatte er die andere Straßenseite benutzt, und sie ließen ihn in Ruhe. Im Frühling waren die Mütter gekommen, saßen auf den Bänken, der hölzernen Sandkistenumrandung und schrien: Schreit nicht, werft nicht, haut nicht. Passt auf! Die neuen Schaukeln hingen zwischen Holzkamelen, auf ihnen saßen braun-, rot-, blondgelockte Kinder, ebenso auf dem Karussell, das aussah wie ein Zelt, und auf der Elefantenrüsselrutsche. Der Basketballplatz hatte wieder Körbe, darunter standen die übrig gebliebenen Älteren, hinter den Ring gehen, nannten sie es, den S-Bahn-Ring, dort waren die meisten Familien hingezogen.
    Er spielte selten dort. Mit kurzen Blicken streiften die Mütter seine Haare, seine Kleidung, sobald eines ihrer Kinder auf ihn zukam, ihm irgendwas hinstreckte, ein Stöckchen, einen Stein, eine Plastikschaufel. »Sieh mal, die Schaukel ist frei«, sagten sie dann lächelnd, oder »wir gehen jetzt lieber Mittagsschlaf machen.«
    Lucas ging zurück zum Treppenabsatz, nahm das Zahlenbuch, Seite achtundsechzig, Division lautete die Überschrift. Schrak auf, als eine Hand gegen das geriffelte Glas schlug, und, weiß und flachgedrückt, die Finger gespreizt, am Glas hinabrutschte. Als versuchte sie, sich festzuhalten, und würde wieder weggezogen. Lucas warf das Heft auf die Stufen und stieß die Tür auf.
    »Du bist blöd«, sagte er. Ümit lachte.
    Ümit sah zu, wie Lucas den Briefkasten aufschloss, Werbeprospekte in den Mülleimer warf, die Telefonrechnung legte er wieder hinein, ebenso die Federtasche und das Heft. Er schloss den Kasten ab.
    »Karstadt«, fragte Ümit.
    Lucas nickte. Sie hatte erstaunlicherweise nicht protestiert, als er den Briefkastenschlüssel von ihrem Bund genommen hatte, war ihn eh nur selten leeren gegangen. Die Post nahm er abends mit hoch und legte sie auf den Küchentisch.
    Die Spielzeugabteilung war unterm Dach, sie nahmen die hinteren Rolltreppen, dort standen die Konsolen und sie mussten nicht durch den ganzen Raum, gut sichtbar für die Verkäufer. Drei Verkäufer waren es normalerweise, nicht immer die gleichen, manche ließen sie so lange

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