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Rechnung offen

Rechnung offen

Titel: Rechnung offen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger-Maria Mahlke
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Wohnzimmer leer, die Decke gefaltet, als er seinen Ranzen hochgebracht hatte. Bei den Schmerzpatienten, hatte er gedacht. Die Scheine und der Schlüssel waren ihm erst aufgefallen, als er von Karstadt zurückkam, sich ein Brot mit Salami schmieren wollte. So viel Geld, hatte er gedacht, sich erst nicht getraut, es anzufassen. Hatte seine Hose abgetastet, den Schlüssel befühlt, schwer und scharfkantig hinter dem dünnen Stoff, mit Briefkastenschlüssel, es gab nur zwei.
    Ihre Zahnbürste war weg, so viel war sicher, Deo und Gesichtscreme ebenso.
    Er war ins Schlafzimmer gegangen, nachsehen, ob sich etwas verändert hatte. Das Bett war nicht gemacht, Lucas nahm die Decke, breitete sie auf der Matratze aus, das Kissen legte er mittig ans Kopfende, dort gehörte es hin. Öffnete die Schranktür, wollte feststellen, wie viel Wäsche fehlte, ob sie länger wegbleiben wollte. Das oberste Fach war leer, das darunter vollgestopft mit Hosen, Pullovern, Shirts, im untersten verknäuelt ihre Socken, BH s, Unterhosen. Er zog an einem Hosenbein, bis die Wäsche herausrutschte, hinabfiel, auf seine Füße, die Diele. Der Haufen reichte ihm bis zu den Knien. Er begann mit den Hosen, zog sie nach und nach aus dem Knäuel, legte Bein auf Bein, schlug sie noch einmal mittig um und stapelte sie auf der Bettdecke.
    Danach kamen die Pullover, die T-Shirts, Unterhosen, vier saubere Stapel. Die Socken breitete er auf dem Kopfkissen aus und suchte nach gleichen, überlegte, ob er die, die alleine blieben, in den Müll tun sollte. Schließlich legte er sie, Bündchen auf Bündchen, Ferse auf Ferse, lang aufeinander. Bei den BH s war er nicht sicher, hängte sie an den Trägern über den Haken innen an der Schranktür. Er verteilte die Stapel auf die Fächer, konnte nicht erkennen, ob sie etwas mitgenommen hatte. Die Schlafzimmertür zog er hinter sich zu.
    Er hatte sich in den Flur gekniet, neben das Telefon, den Hörer in die Hand genommen, keine Nummer gewusst, die er anrufen wollte. »Er lebt in Australien, mit seiner richtigen Familie«, sagte sie. »Wenigstens zahlt er«, sagte sie, wenn Lucas nach ihm fragte. Und dass sie seine Adresse nicht hätte.
    »Opa wird traurig«, sagte sie, »macht sich Sorgen, wenn du von der Couch erzählst, dem Kissen.« Opa rief an, jeden zweiten Sonntag, »gut«, sagte sie dann, »es läuft gut«. Opa sprach erst mit ihr und dann mit ihm, fragte nach der Schule, seinen Freunden, »gut«, antwortete Lucas, »es läuft gut«. Oma war tot, sie hatten ihn besucht, er hatte Diabetes und wog sein Essen. Hatte einen Stock, den er zum Aufstehen brauchte, einen Kugelschreiber, der keiner war, und große lilafarbene Flecke am Bein. »Sie ist weg, aber es läuft gut«, sagte Lucas probehalber vor sich hin. Nein, sie muss arbeiten, Überstunden, sie kommt ganz spät und morgen auch, würde er sagen.
    ***
    »Mach endlich zu«, sagte der Ägypter. Der mit den Narben ging hastig in die Küche und schloss die Tür hinter sich. Die aufeinanderschlagenden Zähne waren dennoch zu hören, ein leises Tacken, mal schnell und unregelmäßig, als wollten sie sich selbst überholen, dann wieder langsamer, unablässig schlugen sie aufeinander.
    »Der muss ins Krankenhaus«, sagte Ebba.
    »Dann schieben sie ihn ab.«
    »Besser das, als tot.«
    »Was meinst du, was er mit dem Bein anfangen wird? Er schickt seinen Leuten Geld, sie leben von ihm. Haben die Überfahrt bezahlt, was meinst du, was er dort anfangen wird?«
    Der Ägypter sagte es, als wäre er wütend auf sie. Weil Ebba nicht wusste, dass es so war. Weil er das ungerecht fand. Was sollte sie sagen, sie hätte beinahe mit den Achseln gezuckt, ich weiß nicht. Ebba betrachtete die Dielen, begann, leise Sekunden zu zählen, auf dass der Moment vorbeiging, sie nach der Tüte fragen konnte.
    »Und was, meinst du, passiert mit uns? Die Kripo ist egal, aber was meinst du, wo deine netten kleinen Tüten herkommen? Die denken, der ist schon lange tot. Die sagen das nicht, die erwarten das einfach.«
    Das Tacken war wieder langsam und gleichmäßig, mehr wie ein Motor, dachte sie.
    »Ich habe nichts für dich«, sagte der Ägypter. Das war schon einmal vorgekommen, am selben Abend hatte er das Tütchen hochgebracht.
    »Wann kriegt ihr was?«
    »Schwer zu sagen«, sagte er, »du weißt ja, wie das ist.«
    Die weiße Dose reichte bis morgen früh, und dann würde sie warten, den Bürgersteig vor der Tür vom Balkon aus bewachen, runtergehen und klopfen, sobald einer von ihnen das

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