Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rechnung offen

Rechnung offen

Titel: Rechnung offen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger-Maria Mahlke
Vom Netzwerk:
gleich.«
    Kurz überlegte er, ob er ihre Hand drücken sollte, den Arm um sie legen, schmal sah sie aus.
    Er schloss die Wohnungstür hinter sich, leise, er wollte sie nicht aufschrecken. Auf der Treppe kam ihm ein Mann entgegen, er trug eine eingerollte Matratze, trug sie mit beiden Händen vor dem Bauch, auf der Schulter wäre deutlich einfacher, dachte Nicolai und trat zur Seite. Der Mann betrachtete die Tür, aus der Nicolai gekommen war, ging nicht an ihm vorbei, blieb stehen.
    »Gut, dass ich Sie treffe«, sagte der Mann und stellte die Matratze auf dem Absatz ab. »Sie sind ein Verwandter?« Er wartete die Antwort nicht ab, lehnte sich gegen das Treppengeländer, als nehme er an, das Gespräch würde länger dauern. »Eine spezialisierte Pflegeeinrichtung wäre die beste Lösung, das bedeutet nicht, dass Sie für die Kosten aufkommen müssen, Ihre Großmutter«, er musterte ihn, »vermute ich mal, ist Rentnerin, ihr Einkommen wird … «
    »Ich bin nicht mit ihr verwandt«, sagte Nicolai, »schönen Abend noch.« Er ging an der Matratze vorbei, die Treppe hinunter.
    Er überquerte die Promenade. Jana stand am Tresen, drehte ihm den Rücken zu, schraubte Verschlüsse auf Zuckerstreuer, die auf einem Tablett neben ihr standen. Hinter dem Tresen ein Streifen hell erleuchtete Küche, Camille war nicht zu sehen. Nicolai hockte sich neben das Fahrrad, er hatte sie gewarnt, »das Nummernschloss ist lächerlich«, hatte er gesagt. Neunzehnneunzehn, das Todesjahr von Emiliano Zapata, so merkte sie sich die Zahlen. »Es mejor morir de pie que vivir toda una vida de rodillas«, sie hatte versucht, ihm die richtige Aussprache beizubringen, den Satz ständig wiederholt, nackt, den Oberkörper auf die Ellbogen gestützt, ihre weichen Brustwarzen hatten ausgesehen wie die Zitzen eines glatten braunen Tieres.
    Er nahm den Zettel aus der Tasche, Gaffa, riss ein Stück ab und klebte ihn fest: Wenn du dein Fahrrad willst, ruf mich an!
    ***
    Die Zimmertür stand offen, das Licht im Flur war eingeschaltet, Lucas schob die Bettdecke weiter nach unten, weg von seinen Ohren, war nicht sicher, ob er die Klingel im Schlaf hören würde. Er brauchte einen Faden. Einen dünnen, wie man ihn zum Angeln benutzte oder zum Nähen, und lang genug, dass er von der Treppe bis zu seinem Bett reichte. Er würde ihn vor der Haustür aufspannen, das eine Ende am Rahmen befestigen, einen Nagel einschlagen, den Faden festknoten. Ihn an der gegenüberliegenden Wand durch einen Metallring ziehen, den Ring müsste er in die Mauer schrauben. Dünn und kaum sichtbar wäre der Faden, schräg vor die Haustür gespannt, so dass sie mit den Beinen dagegenstoßen würde, ihn langziehen, wenn sie sich vor die Schwelle stellte, um zu klingeln. Wie eine Stolperfalle, nur dass es keine Falle war und sie nicht stolpern sollte. Vom Metallring müsste er den Faden durch die Türritze ziehen, durch den Flur und in sein Zimmer, bis zum Bett. An seinem großen Zeh würde er ihn festbinden, mit Doppelknoten, damit er nicht aufging. Oder besser am Daumen. Wenn sie gegen den Faden stieß, ihn spannte, würde sie an seinem Daumen ziehen, er sah seine Hand hochhüpfen unter der Decke. Das müsste gehen. Aber sie nähte nicht, und er hatte auch keinen Metallring.
    Lucas machte das Licht wieder an, riss das letzte Blatt aus seinem Hausaufgabenheft. Bin schlafen gegangen, du musst lange klingeln schrieb er. Holte Tesafilm und eine Schere aus der Schreibtischschublade. Auf dem Weg zur Wohnungstür kam er an der Küche vorbei, der Schlüssel lag mittig auf der Tischplatte, wo sie ihn zurückgelassen hatte, neben ihrem Telefon. Sah aus, als könnte er leicht verloren gehen, so wie er dalag, als könnte jemand ihn nehmen. Unsinn, dachte Lucas, dafür müsste jemand erst in die Wohnung gelangen.
    Das Treppenhaus war leer, sie saß nicht auf den Stufen, stand nicht vor der Tür, er klebte den Zettel auf das Namensschild. Dort würde sie ihn sehen. Lucas holte den Schlüssel aus der Küche, schloss doppelt ab, zögerte, ob er ihn wieder auf den Tisch legen sollte. Schließlich nahm er ihn mit, tat ihn unter sein Kopfkissen, morgen würde er einen besseren Platz suchen.
    Die Küche war bereits aufgeräumt gewesen, als Lucas gestern Abend nach Hause gekommen war. Keine Tellerstapel, Tassentürme, die Spüle mattsilber und leer. Sie war im Wohnzimmer gewesen, er war zum Sofa gegangen, hatte »du hast abgewaschen« zu ihrem Rücken gesagt, sie hatte sich nicht gerührt.
    Heute war das

Weitere Kostenlose Bücher