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Rechnung offen

Rechnung offen

Titel: Rechnung offen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger-Maria Mahlke
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wurde, »Hast du Hunger?«
    Sie nickte langsam.
    »Ich will Gläschen«, sagte sie.
    »Was für Gläschen?«
    »Für Babys«, hatte sie geantwortet.
    Apfel brachte Nicolai beim ersten Mal mit, Williamsbirne , Gute-Nacht-Brei . Hoffte, in dem Brei war irgendwas, das sie einschlafen ließ. Reihte die Gläser im Halbkreis neben ihr auf der Matratze auf, legte einen Eierlöffel in die Mitte.
    »Bitte, Madam, Ihr Buffet«, sagte er.
    Camille drehte sich um, betrachtete kurz die Reihe und legte sich wieder hin, Gesicht zur Wand, Kapuze über den Ohren.
    »Richtige Gläschen«, sagte sie, »salzige. Ganze Mahlzeiten.« Sie dehnte die letzten Worte, imitierte einen Werbespot.
    »Ich kann dir auch was kochen?«
    »Ich hab Hunger auf Gläschen. Nudeln Bolognese oder Kalb mit Gemüse, irgendwas in die Richtung.«
    »Du bist Vegetarierin.«
    Sie zuckte mit den Schultern.
    ***
    Lucas sah erst SpongeBob, dann Transformers, und dann war das Kinderprogramm zu Ende und es kamen nur noch Musikvideos. Er schaltete durch, Talkshow, ein Mann sah in den Regen zu trauriger Musik, Nachrichten, er machte den Fernseher aus. Es war Samstag.
    »Willst du schlafen, Vampra«, fragte er.
    Nein, Vampra wollte nicht. Lucas sah zum Telefon, es war zu spät, um Ümit anzurufen, und was hätte er sagen sollen. Sie trafen sich nie am Wochenende, Ümits Eltern hatten meist Besuch.
    Er war aufs Sofa gezogen, die Bettwäsche hatte er mitgenommen, die blaue Decke benutzte er als Laken. Er ging nur in sein Zimmer, um etwas zu holen. Ehe er das Licht ausmachte, setzte er Vampra auf die Lehne und drehte seinen Kopf so, dass er zur Tür blickte. Die Legos ließ er in den Kisten, nach der Schule stellte er seinen Ranzen neben den Schreibtisch, schaltete das Licht im Wohnzimmer ein, damit es brannte, wenn er abends wieder nach Hause kam. Die Schulaufgaben machte er unten bei den Briefkästen, wartete auf der letzten Treppenstufe, bis Ümit ihn abholte, und ging nicht hoch. Frau Streml traf er öfter, konnte an den Geräuschen erkennen, ob sie es war, die weiter oben ihre Tür abschloss, sie brauchte lange dafür. Lucas lief ihr entgegen, sie hatte angefangen ihn Nico zu nennen. Wenn sie ihn sah, lächelte sie und öffnete die Handtasche, manchmal strich sie mit der Hand über seine Haare, »ich hab gar nichts für dich«, sagte sie dann, »musst noch warten«.
    Nach ein paar Tagen hatte nur eine Flasche Ketchup auf den weißen Kühlschrankgittern gestanden, die letzte Scheibe Salami hatte Lucas mit der Packung weggeworfen. Er nahm den obersten Schein vom Stapel, das Geld lag immer noch auf dem Küchentisch, dreiundzwanzig Scheine insgesamt. Hatte sich beeilt, wollte zurück sein, wenn Ümit kam, hätte nicht gewusst, was er sagen sollte. Meine Mutter ist abgehauen. – Deine Mutter ist voll Assi, so Assi, dass sie glaubt, ihr Arschloch wär ’ne Blumenvase. So Assi, dass sie den Mülleimer für McDonald’s hält. Ihre Scheiße für Schokoladenpudding. – Frosties hatte er gekauft, Chips, Cola, Bananen, um sie mit in die Schule zu nehmen. Hatte überlegt, was normale Leute einkauften, schließlich Brot in den Wagen gelegt, Butter, eine Packung Wurst mit Mickey-Mouse-Gesicht. Das Brot war nach einer Woche hart gewesen, die Wurst aß er scheibenweise aus der Packung.
    Die schmutzige Kleidung warf Lucas in die Wäschebox im Flur, bis der Deckel nicht mehr schloss. Er stützte sich mit beiden Händen auf den Haufen, lehnte sein ganzes Gewicht darauf, versuchte, die Hosen, Pullover, T-Shirts zusammenzupressen. Die Box ging auch nicht zu, als er sich auf sie setzte. Er nahm einen Arm voll Wäsche, trug ihn ins Bad, sie hatte immer gewaschen, er wusste nicht, wie man die Maschine anstellte. Zog an dem runden Fenster, es ging nicht auf, betrachtete die Knöpfe, die Schrift daneben unleserlich, abgerieben von ihren Fingern, nur schwarze Punkte waren übrig. Schließlich warf Lucas die Wäsche in die Dusche, beschloss, sie nicht mehr jeden zweiten Tag zu wechseln, zog einen Pullover aus dem Haufen, versuchte die weißen Flecken auf der Brust, Joghurt oder Zahnpasta, er war nicht sicher, mit Seife und Wasser rauszuwaschen, rieb mit den Fingern daran herum, die Flecken wurden größer, waren dafür aber weniger hell.
    Seltsam klein fühlte er sich auf dem Sofa, so viel Raum um ihn herum, so viel leere Luft. Kalt fühlte sie sich an, Lucas hauchte, wollte wissen, ob sein Atem zu sehen war, nein.
    Eine Höhle, er würde eine Höhle bauen, entschied er.
    Unter der Spüle fand

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