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Rechnung offen

Rechnung offen

Titel: Rechnung offen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger-Maria Mahlke
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glitzernde Steine, Diamanten vielleicht. Er sah sich um, Frau Streml könnte eine Schmugglerin sein, bei den drei ??? gab es Schmuggler, die hatten Rohdiamanten, die niemand erkannte, nur Justus kam ihnen auf die Spur. Lucas berührte einen der Steine mit der Fingerspitze, wusste nicht, wie sich ein Diamant anfühlte, schob probeweise den Nagel darunter, problemlos ließ er sich ablösen. Ein leuchtend roter Punkt blieb auf dem Blatt zurück. Lucas nahm den Stein in die Hand, er war leicht, Diamanten mussten schwer sein, legte ihn wieder auf die Fensterbank, schob ihn unter die Blüte, von der er ihn abgepult hatte, so dass es aussah, als wäre er runtergefallen.
    »Der Tee.«
    Lucas fuhr herum, Frau Streml hielt eine Kanne in der Hand, streckte sie ihm entgegen.
    »Ich trink Cola«, sagte er, »oder Leitungswasser.«
    Sie stellte die Kanne auf den Tisch, »ich komme gleich«.
    Lucas nickte, nahm erneut die Fernbedienung und schaltete um. Setzte sich auf die Sessellehne, Nachrichten. Sie redeten von einer Krise mit den Finanzen, Finanzen bedeutete Geld.
    Frau Streml trug eine Glasschale vor sich her, Kekse, keine Cola, kein Wasser, als sie wiederkam.
    »Setz dich«, sagte sie.
    Sie goss Tee ein, Staubfasern schwammen auf, wirbelten dicht unter der Oberfläche, immer im Kreis. Lucas griff nach der Zuckerdose, nahm zwei Würfel, einen ließ er in die Tasse fallen, den anderen steckte er in den Mund, als sie nicht hinsah.
    Frau Streml deutete auf die Glasschale. Er kannte die Kekse, es war die gleiche Sorte wie die in den Gefrierbeuteln, die Schokolade noch nicht verschmiert.
    »Und, die Familie wohlauf?«
    »Meine Mutter«, Lucas zögerte, »ist nicht da«, sagte er schließlich.
    »Na«, sagte sie, sagte es tadelnd, »das ist kein Grund zu greinen.«
    »Ich grein gar nicht«, er befühlte seine Wangen, sie waren trocken.
    »Die Wichtel sind noch nicht gekommen«, sagte sie, »beim nächsten Mal.«
    Lucas nickte, traute sich nicht zu fragen, nahm schließlich doch einen Keks, sie schien zufrieden.
    »Meine Mutter ist weg«, versuchte er erneut, »schon länger.«
    »Vielleicht ist sie tauschen.«
    »Tauschen?«
    »Am Brandenburger Tor, zur schwarzen Börse, das dauert seine Zeit, aber das ist nichts für Kinder.«
    Er sog Spucke durch den Würfel, wusste nicht, was er antworten sollte.
    »Manchmal ist Razzia«, sagte sie, »wenn du nicht schnell genug bist, nehmen sie dich mit. Am nächsten Tag lassen sie dich wieder laufen, sagt Erika. Aber die Zigaretten sind futsch.«
    »Nein, das ist es nicht, sie ist ganz weg.«
    Frau Streml nickte, deutete auf seinen Tee.
    »Der wird kalt. Meine Mutti war ein Bombentreffer. Die ganze Straße.«
    Lucas griff den Henkel, hob die Tasse an, als wolle er trinken. Frau Streml sah hinab, auf die Tischdecke.
    »Ich war damals KLV «, sagte sie, »in Woltersdorf, in der alten Feuerwache. Der Vati ist gefallen, ganz zu Anfang, in Polen, als eigentlich noch niemand gefallen ist. Blumen haben die Nachbarn gebracht, Eintopf und Kuchen. Ein Held sei er, haben sie gesagt.«
    »Was ist KLV ?«
    »Kinderlandverschickung, die ganze Klasse, als die Bomben anfingen.«
    »Bomben«, fragte er, »echte Bomben?«
    Sie nickte.
    »Die meisten sind irgendwann wieder zurück nach Berlin. Ich bin ins Heim, da war ich die Älteste.«
    »Die aussehen wie Kugeln, mit einer Schnur, die brennt? Mit echten Explosionen?«
    Wieder nickte sie.
    »Hin und her bist du immer von den Druckwellen, wir haben alle nebeneinandergesessen, eingehakt, so«, sie spreizte die Ellenbogen ab und schwankte mit dem Oberkörper von einer Seite auf die andere.
    »Ach so«, sagte Lucas, unsicher, wovon sie sprach.
    »Meins war blau«, sagte Frau Streml plötzlich.
    Das Licht hatte er brennen lassen, der Höhleneingang stand einen Spalt offen. Lucas konnte es sehen, von der Wohnzimmertür aus, schwarz und glänzend, als wäre es nass, es schien sich nicht bewegt zu haben, während er oben gewesen war. Vorsichtig trat er näher. Die Indianer trugen Skalps am Gürtel, Haut und Haare, hatte er in der Schule gelesen. Ihm war übel geworden, als er versucht hatte, es sich vorzustellen. Die Haut erinnerte an die gelbliche Schicht auf den Gänsekeulen, die es vor Weihnachten beim Schulessen gab. Lucas war nahe an das Bild rangegangen, kein Blut war zu sehen, es war eines von den gemalten gewesen, die sahen immer besser aus, als alles auf den Fotos oder in Wirklichkeit. Abschrecken wollten sie die Feinde, hatte neben dem Bild gestanden, darum

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