Rechnung offen
zu erkennen, ließ sich wieder fallen, auf die Knie diesmal. Seine Zunge hatte aufgehört zu bluten, er legte sich nach hinten und streckte die Arme aus.
*
Ebbas Sohlen pressten den Schnee zusammen, der Schnee knirschte, er musste sie hören.
Sie war aufgewacht, zur Toilette gegangen, hatte ein Glas Wasser in der Küche getrunken, es war nach vier. Die Fenster der Häuser gegenüber waren noch dunkel, sie hatte hinab auf die Promenade geblickt. Da wälzt sich jemand in Krämpfen, hatte sie gedacht, und an die Wellenlinien, es war zwei Wochen her, dass es still geworden war. Ebba war am Fenster stehen geblieben, hatte ihn erst erkannt, als er sich einmal aufrichtete, schwankend auf seine Beine, die Arme hoch erhoben, den zerwühlten Schnee um sich betrachtend, die Hände zu Fäusten geballt, in die Luft gereckt, als würde er jubeln. Nicht weit von ihm lag ein blauer Punkt im Schnee.
Seine Mütze, wie Ebba feststellte, als sie näher ging. Er bewegte sich nicht, als sie sich neben ihn kniete, schreckte erst hoch, als sie sein Gesicht berührte, seine gerötete Wange, schnell zog sie die Hand zurück. Seine Augen waren weit aufgerissen, er sah sie an, grau oder hellblau, bei den Lichtverhältnissen schwer zu unterscheiden. Er schloss die Lider wieder, ließ den Kopf zurück in den Schnee sinken, einen Moment lag er still. Das Lachen kam so unvermittelt, dass sie zurückwich, sich ihm nur langsam wieder näherte. Sein Mund weit geöffnet, sie konnte in seinen Rachen sehen, seine Zunge, das Zäpfchen, das hinten hüpfte. Er lachte laut, so, als wolle er unbedingt laut lachen, als zwinge er sich dazu. Dann war er wieder still, sein Brustkorb zuckte noch einmal, zweimal, seine Hände verschränkt.
»Das ist gefährlich«, sagte Ebba, »der Schnee.«
»Hau ab«, er sprach leise, sie war nicht sicher, ob sie ihn richtig verstanden hatte.
»Du erfrierst«, Ebba beugte sich vor, wollte ihre Arme unter seine Achseln schieben, ihm hochhelfen, über die Promenade, die Treppe hinauf, in ihre Wohnung. »Oben ist es warm«, sagte sie.
»Hau ab«, er öffnete die Augen nicht, schloss fest den Mund.
»Du bist betrunken«, sagte sie, »du stirbst, wenn du hierbleibst.«
»Hau ab«, er richtete sich auf, sein Gesicht ganz nah an ihrem, hellgrau, nicht blau waren sie und halb zugekniffen, sie fühlte seinen Atem warm auf ihrer Wange. »Du fettes Schwein, hau ab.«
Ebba fühlte den Schnee feucht auf ihren Haaren, durch den Stoff ihrer Jeans, an den Schienbeinen, er biss kalt in ihre bloßen Hände, sie lagen auf dem Boden, rechts und links neben ihren Knien, steh auf, dachte sie, geh weg.
»Was willst du von mir?«
Stoß ihn, dachte sie, mit beiden Händen, zurück in den Schnee, drück ihn tief hinein, mit beiden Händen auf seinem Brustkorb und deinem Fettesschweingewicht.
»Ich werde nicht sterben, ich kann auf mich aufpassen. Und jetzt hau endlich ab«, er legte sich wieder in den Schnee zurück, Hände vor dem Bauch gefaltet, Augen geschlossen.
Ebba griff zu, mit beiden Händen, seine Jacke war steifer als gedacht, sie musste ihre Fingernägel in den Stoff krallen, damit er ihr nicht entglitt. Zerren wollte sie, an ihm reißen.
»Hey«, er brüllte, doch das machte nichts, legte seine Hände auf ihre Handrücken, presste ihre Finger zusammen, schmerzhaft rieben Knöchel und Gelenke aneinander. Ebba hörte auf zu ziehen, lehnte sich mit ganzem Gewicht nach vorn, ihrem Fettesschweingewicht, auf seinen Brustkorb. Drückte ihn in den Schnee zurück, drückte so fest, dass sie fühlen konnte, hören konnte, wie seinen Lungen Luft entwich, wie sie sie aus ihm herauspresste, erstaunt sein Gesicht. Er begann mit den Beinen zu strampeln. Erst störte es sie nicht, seine Finger zogen an ihren Handgelenken, bis er sie mit dem Knie traf. Hart und so, dass sie nach vorn fiel, traf er ihren Rücken, neben dem Rückgrat, traf die unteren Rippen. Kurz lag er unter ihr, dann stieß er sie zur Seite, rutschte auf dem Hintern von ihr weg, zog eine breite Rinne in den Schnee.
»Spinnst du komplett«, brüllte er unvermittelt und schloss vor Wut den Mund nicht mehr.
Ebba war schneller, bohrte ihre Profilsohlen in den Schnee, drückte die Knie durch, richtete sich auf. Einen Schritt, einen Schritt Anlauf nahm sie, er versuchte nicht einmal auszuweichen, wegzurutschen. Sie traf ihn in die Seite, weich unter ihren Schuhen, erstaunlich weich. So darf man nicht sein, dachte sie, so darf man nicht sein. Er saß gebeugt, ein Bein angewinkelt,
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