Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)
oder nicht. Der Vorsitzende Richter dieser Hauptverhandlung jedoch demonstriert hier eindrücklich, dass diese zentrale Frage für ihn schon beantwortet ist, und zeigt damit in fast beispielloser Offenheit seine Voreingenommenheit. Der Leitfaden für Schöffen von Baden-Württemberg schreibt dazu:
»Hierfür genügt die ›Besorgnis der Befangenheit‹, d . h. die Ablehnung kann Erfolg haben, obwohl der Berufsrichter oder Schöffe gar nicht wirklich befangen ist, der Angeklagte aber aus seinem Verhalten (einer abträglichen Äußerung, einer geringschätzigen Geste) den Schluss ziehen kann, der Richter habe sich seine Meinung schon vor der abschließenden Beratung gebildet. Auch Äußerungen des Richters vor Beginn der Hauptverhandlung, ja vor Beginn des Verfahrens, können hierfür herangezogen werden.«
Viertens:
Auf fast vierzig Seiten legt die Verteidigung akribisch dar, wie Aussagen von Jörg verfälscht wiedergegeben und für Haftfortdauerbeschlüsse benutzt wurden, wie vorurteilsbeladen und verzerrt in mehreren Beschlüssen der 5. Großen Strafkammer argumentiert wurde, wie Beschlüsse schon geschrieben waren, bevor die Stellungnahme der Verteidigung überhaupt eingegangen war, Entlastungszeugen, die nicht geladen wurden, Gutachter, die nicht geladen wurden – und so weiter. In dem Schriftsatz werden auch die Gründe für das Befangenheitsgesuch gegen Richterin Bültmann aufgeführt, die als Berichterstatterin an diesen Beschlüssen maßgeblich beteiligt war.
Die Liste der nicht nachvollziehbaren und vorurteilsbelasteten Entscheidungen des Gerichts ist lang. Aus Platzgründen werde ich nur auf zwei dieser Beschlüsse eingehen.
Der Beschluss vom 12. Juli 2010 , mit dem die erneute Begutachtung der Nebenklägerin auf ihre Aussagetüchtigkeit angeordnet wurde und zu dem es im Befangenheitsantrag der Verteidigung heißt:
»Der Beschluss vom 12.07.2010 geht zum einen davon aus, die Mängel der Aussagen der Nebenklägerin, die im Gutachten Greuel festgestellt worden sind, könnten auf einer traumabedingten Beeinträchtigung der Aussagetüchtigkeit der Nebenklägerin beruhen. Zum anderen könne der eingesetzte Sachverständige möglicherweise feststellen, dass ein – unterstelltes – Trauma der Nebenklägerin (nur) auf einer Vergewaltigung beruhen kann.«
Diesen Ausweg aus der Unbrauchbarkeit von Dinkels Aussagen hatte ihr offenbar Psychotraumatologe Seidler nahegelegt, der sie natürlich – das sagt ja schon seine Berufsbezeichnung – auf ein Trauma hin behandelte, und das allein aufgrund ihrer Angaben, ohne diese in irgendeiner Form überprüft zu haben. Schon von Beginn an zeigte sich Seidler von deren Wahrheitsgehalt überzeugt. Die Voreingenommenheit des behandelnden Therapeuten hat Professor Kröber in seinem Gutachten über die Aussagetüchtigkeit der Nebenklägerin hinlänglich bloßgelegt.
Da Seidler als behandelnder Therapeut von Gesetz wegen befangen war und keine gutachterliche Aussage treffen durfte (wenngleich er es, das Gesetz missachtend, in seiner Stellungnahme für die Staatsanwaltschaft dennoch tat), musste für das Gericht ein Ersatz her, und es nahm seine Zuflucht zu einer weiteren Beweiserhebung in Form eines neuen Gutachtens. Dazu wieder im Befangenheitsantrag der Verteidigung:
»[…] Abgesehen davon, dass im Schriftsatz der Verteidigung dargelegt worden ist, die Tatsache des – unterstellten – Vorhandenseins eines Traumas der Nebenklägerin könne viele – nicht eruierbare – Ursachen haben, weil die Phänomenologie des Traumas keine Unterscheidung dazu leiste, ob es sich um ein tatsächliches, eingebildetes oder schlicht erfundenes Trauma handele, worauf der Beschluss ebenfalls nicht eingeht, zielt die Beweiserhebung abermals auf eine Ersetzung der Aussage der Nebenklägerin.«
Die Richter hatten hier das Problem, dass die Aussage von Frau Dinkel solche eklatanten Mängel aufwies, dass ihr von der auf Glaubwür digkeitsgutachten spezialisierten Aussagepsychologin Luise Greuel eine Erlebnisbasiertheit ihrer Angaben zum angeblichen Tatgeschehen abgesprochen wurde. »Die Tathergangsschilderung bleibt vage, ober flächlich und nur bedingt nachvollziehbar«, hatte Aussagepsychologin Greuel in ihrem Gutachten geschrieben. Und zu den von Seidler wohlwollend als »traumabedingt« interpretierten Erinnerungslücken schreibt Greuel:
»Zum einen handelt es sich um außergewöhnlich umfassende Erinnerungslücken, zum anderen hat die Analyse ihrer nachweisbaren Falschbekundungen
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