Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)
(Flugtickets, Kontaktaufnahme Zeugin Sch.) ergeben, dass sie gerade hier auch Erinnerungslücken geltend gemacht hat und dadurch ihr Aussagemanagement abgesichert hat.«
Da die anderen »Beweise«, die Frau Dinkel ins Feld zu führen versucht hatte, wie die Verletzungen und angeblichen Spuren, allesamt entweder von einem Großteil der Gutachter als Selbstverletzungen identifiziert, bestenfalls aber als » non liquet« (man weiß es nicht) be zeichnet wurden oder schlicht nicht existent waren, brauchte man zu mindest eine sinnvolle Aussage von ihr, die man als Beweismittel heranziehen konnte. Doch diese hatte Prof. Dr. Greuel mit ihrem Gutachten weitgehend vernichtet.
Also versuchte man mithilfe der Seidler’schen zirkulären Unlogik – Die Patientin sagt, sie habe Erinnerungslücken. Also hat sie ein Trauma. Folglich muss sie vergewaltigt worden sein, sonst hätte sie kein Trauma – die Mängel in Frau Dinkels Aussagen als traumabedingt gutachterlich zertifizieren zu lassen, um so die Aussagepsychologin Greuel und ihre Expertise umgehen zu können. Im Befangenheitsantrag der Verteidigung wird die dahinterstehende Strategie aufgedeckt:
»Diese Entlastung der Nebenklägerin ist aus Sicht eines vernünftigen Angeklagten, der Herr Kachelmann ist, geeignet, die Besorgnis auszulösen, die abgelehnten Richter hätten als primäres Verfahrensziel im Auge, seine Verurteilung über die Entlastung der Nebenklägerin mit Konfrontationen der Mangelhaftigkeit ihrer Aussage zu befördern. Darüber hinaus überantworten die abgelehnten Richter ihre Aufgabe, die Aussage der Nebenklägerin – auch in Richtung ihrer Unbrauchbarkeit für eine Verurteilung – zu würdigen, auf einen Sachverständigen, der sich nicht mehr mit der Aussage einer Belastungszeugin, sondern nur noch mit der (rettenden) Erklärung für ihre Unbrauchbarkeit zu beschäftigen hat.«
Auch der Beschluss vom 26. Juli 2010 wird von der Verteidigung beanstandet, weil die Richter der 5. Großen Strafkammer gegen den Widerstand der Verteidigung einen Sachverständigen zur Eruierung von Jörgs Schuldfähigkeit beauftragt haben:
»Herr Kachelmann erwehrt sich zu Recht seiner Vorverurteilung als nicht uneingeschränkt schuldfähig und möchte sich mit Persönlichkeiten, die eine ›andere seelische Abartigkeit‹ aufweisen, […], nicht gleichgestellt sehen […].
Herr Kachelmann benötigt weder die Gnade der Entschuldung durch das Gericht, noch möchte er sich zum Objekt einer Ausforschung von Umständen machen, die für die Entscheidung der Sache bedeutungslos sind. Er strebt vielmehr ein gerechtes Urteil an, welches ihm von den abgelehnten Richtern offensichtlich im Vorhinein verweigert werden soll.«
Normalerweise werden Gutachter zur Schuldfähigkeit nur dann bestellt, wenn es um junge Erwachsene geht oder es sich um ein Verbrechen handelt, bei dem aufgrund seiner Grausamkeit un d /oder des Verhaltens des Täters nicht auszuschließen ist, dass eine psychologische oder psychiatrische Störung vorliegen könnte. Allerdings sind dann die Taten evident, wie beispielsweise bei dem norwegischen Massenmörder Breivik, oder es gibt ein Geständnis. In Jörgs Verfahren jedoch ging es einzig und allein um die Frage, ob es die angebliche Tat gegeben hat oder nicht – wozu also wollte man ein Gutachten über einen verhaltensunauffälligen, schweigenden Angeklagten, der die Tat bestritten hatte, bestellen, wenn man nicht bis ins Mark voreingenommen war? Die Auffassung des Gerichts, möglicherweise einen verhaltensgestörten Narzissten auf der Anklagebank sitzen zu ha ben, war allerdings auch einer Spekulation Prof. Dr. Greuels im schriftlichen Gutachten zu verdanken. Diese hatte über ihren gutachterlichen Auftrag hinaus, ohne je auch nur ein Wort mit Jörg ge wechselt zu haben – also allein auf den Angaben Frau Dinkels gestützt –, ein mögliches psychologisches Profil Jörgs in ihr Gutachten geschrieben, unter dessen Voraussetzung sie es für möglich halten könnte, dass Frau Dinkels Behauptung zuträfe. Dass ein psychologisches Profil, das sich allein auf die Angaben der Belastungszeugin stützt, welche für die Gutachterin wiederum größtenteils unüberprüfbar waren, katastrophal für den Angeklagten ausfallen würde, sollte eine erfahrene Aussagepsychologin eigentlich voraussehen können und daher diese Angaben mit besonderer Vorsicht betrachten, solange sie nicht von anderer Seite gestützt werden.
In dem Befangenheitsantrag der Verteidigung werden noch
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