Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)
Vater der Anzeigeerstatterin durchaus zu Recht gelitten hatte. Interessanterweise sind zwei der Autoren dieses Artikels selbst im Vereinsleben integriert. Der Versuch, sich mithilfe von Vereinskameraden vom bösen Anschein der Klüngelei zu befreien, ist eine eigentlich nicht sehr überzeugende Strategie – aber in Mannheim tickt die Welt, wie wir erfahren mussten, anders:
Andreas Lin ist einerseits Ressortleiter bei der Schwetzinger Zeitungsverlag GmbH & Co. KG und andererseits Geschäftsführer des TV Schwetzingen 1864. Eine Ina Lin ist Leiterin der Geschäftsstelle des TV Schwetzingen. Aufgrund der Seltenheit des Namens und der Tatsache, dass Schwetzingen ein kleiner Ort ist, kann man wohl davon ausgehen, dass diese beiden Personen familiär miteinander verbunden sind – und dass der Familie Lin demnach der TV Schwetzingen und dessen Mitglieder sehr am Herzen liegen.
Herr Markus Wirth, Koautor des oben genannten Artikels, ist ebenfalls Mitglied im TV Schwetzingen.
Im Antrag der Verteidigung heißt es zu dieser Gemengelage:
»Beide sind somit der Nebenklägerin und deren Familie als auch dem abgelehnten Vorsitzenden Richter persönlich bekannt. Davon jedenfalls kann berechtigt Herr Kachelmann als vernünftiger Angeklagter ausgehen.«
Insofern wirkt es wie ein ziemlich durchsichtiger Manipulationsversuch, den der Vorsitzende Richter gemeinsam mit den ihm bekannten Lokaljournalisten unternommen hat, wenn es in dem Artikel der Schwetzinger Zeitung heißt:
»Michael Seidling möchte die Sache am liebsten gar nicht publiziert wissen: ›Das sieht doch so aus, als würde ich nun nach dem Motto, getroffener Hund bellt, handeln – eine Sache, die ich nicht möchte‹, so Seidling. Ein Wunsch, dem wir nicht nachkommen können, da ja bereits bundesweit berichtet wird.«
Eine Zeitung veröffentlicht in solchen Interviews ungern gegen den Willen des zu Zitierenden ein Zitat. Und auch wenn große Boulevardblätter zugunsten einer Story vermutlich lieber einen Rechtsstreit riskieren, als vorherige Vereinbarungen einzuhalten, so wird man solch einen Regelverstoß von einer kleinen Lokalzeitung, die obendrein sozial mit dem Vorsitzenden Richter verbandelt ist, nicht erwarten.
Konsequent fasst Dr. Birkenstock die Argumentationslinie im Antrag der Verteidigung wie folgt zusammen:
»Allein diese objektiven und subjektiven Umstände, die für den Vorsitzenden der Strafkammer in dieser Sache unwürdigen Verhaltensweisen, begründen auch für einen vernünftigen Angeklagten berechtigte Befangenheitssorge.«
Drittens:
Richter Michael Seidling hat im selben Artikel erklärt, dass er weder die Anzeigeerstatterin noch deren Familie kenne. Im Wortlaut: »Das ist alles schlicht nicht wahr! Ich habe weder Kontakt zum Vater noch zum Opfer gehabt, noch, wie es in der Sonntagszeitung behauptet wird, mit der weiteren Verwandtschaft der Familie. Im Gegenteil, ich kenne die Leute nicht einmal.«
Hier hat sich der Vorsitzende Seidling in zweierlei Hinsicht selbst ein Bein gestellt. Zum einen war die »weitere Verwandtschaft« der Familie (müsste ihm die dann nicht bekannt sein?) nie Thema, sondern es ging immer nur um Claudia Dinkel und ihre Eltern. Zum anderen spricht der Vorsitzende, der hier so verzweifelt versucht, Neutralität zu beweisen, um den Anschein der Voreingenommenheit von sich zu streifen, im denkbar ungünstigsten Medium, nämlich seiner Lokalzeitung, von einem »Opfer« und dessen Familie.
Im Antrag der Verteidigung wird erläutert, was daran nicht tragbar ist:
»Diesem Zitat hat der abgelehnte Vorsitzende Richter weder öffentlich etwa in dieser Zeitung widersprochen, […], noch hat er einen Vermerk in der Akte niedergelegt des Inhalts etwa, er sei falsch zitiert worden und habe in Wahrheit nicht vom Opfer, sondern vom ›mutmaßlichen‹ Opfer gesprochen. […] Ebenso wenig kann er sich darauf zurückziehen, es handele sich insoweit um einen Lapsus Linguae. Eine solche Behauptung würde nur unterstreichen, dass hier ein ›Freud’scher Versprecher‹ vorliegt. Der abgelehnte Vorsitzende Richter meint das, was er der Schwetzinger Zeitung gesagt hat, genauso, wie er es gesagt hat.«
Und das alles, noch bevor der Prozess überhaupt angelaufen ist, bevor der erste Zeuge ausgesagt hat und ohne dass ein Geständnis des Angeklagten vorliegt, denn der bestreitet, die ihm vorgeworfene Tat begangen zu haben. Folglich musste genau dies Gegenstand der bevorstehenden Hauptverhandlung sein: ob Frau Dinkel nun ein Opfer ist
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