Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)
bezeichnet hatte, dem sie vertrauen könne – die Staatsanwaltschaft Mannheim ermittelt mittlerweile nach Beschwerde gegen das Nichtstun wegen Falschaussage. Wie tief die Zuwendung so mancher Zeugin gewe sen sein muss, ahnt man beim Mailverkehr, als eine von ihnen nach ihrer immerhin in weiten Teilen wahrheitsgemäßen Aussage zuerst an mich schrieb:
»Es tut mir leid, dass ich heute müde aussah, ich hab die letzten 3 Nächte einfach nicht schlafen können. Danke für Deine Augen heute. Ich kann sie lesen. Melde Dich.«
Als ich mich daraufhin nicht meldete, bekam einer meiner Anwälte kurz darauf von derselben Frau elektronische Post über Gefühle, die sich am selben Tag ereignet haben müssen:
»Ihr Blick war gut. Als die Tür im Gerichtssaal aufging, sah ich Sie … danach war ich benebelt … das bin ich heute noch. Ich würde Sie gern wiedersehen.«
Wir sprechen hier über Frauen mit höherer Bildung, meist mit Hochschulabschluss, und nehmen verwundert zur Kenntnis, dass wir nicht von einem Einzelfall reden können angesichts von einem knappen halben Dutzend wilder Rächerinnen, die bereit waren, zwar nicht unmittelbar der Anzeigeerstatterin nachzueifern, aber doch mit einer gewagten Trittbrettfahrt deren Geschichte zu stützen, eben »glaubwürdiger« zu machen. Ich musste lernen: Einige Frauen finden es offenbar durchaus angemessen, dass ein untreuer Mann im Knast sitzt, auch wenn diese Frauen gleichzeitig zutiefst davon überzeugt sind, dass der böse Mann das ihm zur Last gelegte Verbrechen nicht begangen hat. Und eine um Beweise verlegene Justiz fällt auf alles herein, was ihrem Vor-Urteil Nahrung gibt.
Alle diese Dinge und Geschichten der Frauen hatten natürlich nichts mit der Nacht vom 8. auf den 9. Februar 2010 zu tun. Und genau das war das Ziel von Gericht, Dinkel-Fraktion, Staatsanwaltschaft und den meisten Medien: komplett davon abzulenken, worum es eigentlich ging. Nicht um mein Beziehungsleben, sondern um eine – erfundene – Straftat in einer Februarnacht.
Die zwölf groteskesten Schlagzeilen der Medien
Wer hat Angst vor Jörg Kachelmann? [ Süddeutsche Zeitung Magazin, Heft 34/2010, 23. – 28.8.2010]
»Ich bin auch ein Opfer von Jörg Kachelmann.« Anja L. tritt als Zeugin im Prozess des Jahres auf [ Bunte, Nr. 36, 2.9.2010, Titel, Schrift: weiß, »ein Opfer« gelb]
Polizistinnen glauben Kachelmann-Freundin [ Focus Online, 29.9.2010]
Kachelmann-Prozess
Keine Erklärung für das Zeitloch [ Frankfurter Rundschau, 4.10.2010]
Zeitlöcher im Kachelmann-Prozess gestopft [ Ruhrnachrichten, 1.3.2011]
Neue Zeugin bringt Jörg Kachelmann in neue Not [ Welt Online, 4.12.2010]
Prozess gegen Jörg Kachelmann
Die bizarre Schlacht der Gutachter [ Stern, 24.1.2011]
»Blaue-Flecken-Gutachter« wieder vor Gericht
Irrer Gouda-Beweis im Kachelmann-Prozess [ Bild, 14.12.2010]
Treten und kratzen
Die rabiaten Methoden des Kachelmann-Gutachters [ Welt Online , 1.2.2011]
Entscheidende Wende im Kachelmann-Prozess?
Zwei Rechtsmediziner entlasten Wettermoderator [ RTL, 9.2.2011]
Alice Schwarzer als Zeugin beim Kachelmann-Prozess
Ich war ein Scherz der Verteidigung
Vor Gericht schwieg sie, jetzt redet sie [ Bild, 10.2.2011]
Zeugin geheiratet:
Kachelmann Hochzeit nachgewiesen [ Netplosiv, 28.3.2011]
Teil IV
Auf der Flucht
August 2010 Die erste Augustwoche verbringt Kachelmann in Niebüll.
Anschließend hält er sich achtzehn Stunden lang in der Schweiz auf. Er nimmt an einer abendlichen Grillparty bei seiner Firma Meteomedia teil und besucht am Morgen danach seine Mutter.
30.08.2010 Kachelmann kehrt von einer zweiwöchigen Reise zu seinen Kindern aus Kanada zurück.
Nordfriesland und Dänemark
Der Belagerungszustand dauerte an, und die Freiheit war auch nach zwei Tagen ohne Gitterstäbe vor dem Fenster nicht der große Brüller. Ein IT -Helfer der Birkenstocks kam vorbei und erzählte, dass er noch iPads übrig habe, und ich leistete mir eins, vielleicht würde ja ein Spielzeug für große Jungs ein wenig trösten. Birkenstocks wollten nach Sylt in Urlaub fahren, und ich sollte mitkommen. Ich hatte von vornherein beim Gedanken an eine Insel die Assoziation an die Paparazzinacht von Köln, eingeschlossen und ohne Fluchtmöglichkeit vor dem Geschwader der Medien. Unterwegs sprach ich mit dem Medienanwalt Ralf Höcker, ob es eine gute Idee sei, in der Birkenstock’schen Sylt-Villa (die früher mal Emmi Göring gehört hatte und auch bei Inselführungen ein Thema ist) einen Urlaub zu versuchen.
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