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Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)

Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)

Titel: Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kachelmann , Miriam Kachelmann
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Höcker war entsetzt, weil ihm schon vor Augen stand, was Bild hätte daraus machen können: Kachelmann lässt’s krachen in der Göring-Villa auf Sylt! , und ich fasste allen Mut zusammen, den Birkenstocks an einer Raststätte zu sagen, dass ich nicht auf die Insel kommen würde. Dass Bunte mit der Insel Werbung macht, kam noch verschärfend dazu.
    Es gab nun zwar den Liebesentzug, den ich schon aus anderen Situationen kannte, aber das große Drama blieb diesmal aus, und Höcker suchte für mich ein Hotel mit diskretem Personal. Nach kurzer Zeit hatte er den »Niebüller Hof« in Nordfriesland klargemacht, zwar mitten im Ort, aber von der richtigen Größe: nicht zu klein, weil ich sonst auf jeden Fall aufgefallen wäre, und nicht zu groß, sodass man das Personal noch auf den besonderen Gast einschwören konnte. Ich ließ mir gegen Ende der Fahrt Zeit, um im Dunkeln anzukommen, und von draußen auf dem Kiesparkplatz rief ich im Hotel an, woraufhin mir die Empfangsdame entgegenkam und mich direkt vor die Zimmertür lotste. Bis zum Ende meines Aufenthalts musste ich nicht zur Rezeption, und das gesamte Personal hielt dicht (soweit es überhaupt von mir wusste). So verbrachte ich rund eine Woche in relativer Freiheit im »Niebüller Hof«.
    Freiheit hieß, dass ich immer um dreizehn Uhr aus dem Hotel schlich, denn die freundliche polnische Mitarbeiterin (»Ich spire genau, Sie sind unschuldich«) und ihre Kollegin hatten mir den Tipp gegeben, erst mal zu warten, bis alle Pauschalurlauber in ihren Reisebussen zu den Tagesausflügen aufgebrochen waren. Also wartete ich, bis ich mich aus dem Haus stehlen konnte, um mich dann unmittelbar über die dänische Grenze in Freiheit und Abenteuer zu begeben, möglichst schnell das Land verlassen wollend, das Unschuldige einsperrt. Ich war müde, sehr müde und dankbar, alleine zu sein und die Birkenstocks auf der Insel zu wissen. Ich hoffte immer, dass das Handy nicht klingeln würde, denn das bedeutete meistens, dass der Anwalt irgendeine schlechte Nachricht hatte, etwa dass gerade mal wieder eine »Zeugin« aufgetaucht sei oder das Landgericht die groteske Reihenfolge des Zeugenaufmarsches ankündigte, der von den Medien »Lausemädchen-Parade« genannt wurde.
    So ergab sich die unglückliche Kombination, dass mein Körper sehr müde war, aber alles zwischen Kopf und Herz immer noch im Alarmzustand. Den besten Schlaf hatte ich immer nachmittags, wenn ich mich irgendwo mit meiner dänischen Decke in die Dünen legte und irgendwann aufwachte, weil es kalt war oder mich Schafe anschnauften. Essen ging weiterhin nicht viel. Meine meist einzige Mahlzeit des Tages war etwas Fisch und Brot und viel Obst, alles ge kauft in einem dänischen Laden im Dorf, stets darauf achtend, dass kein Auto mit deutschem Nummernschild davorstand. Die Paparazzi hatten die Fährte verloren, aber ich fühlte mich trotzdem wie auf der Flucht.
    Der erste Luxus, den ich mir gönnte, war eine Avatar - DVD . Ich hatte den Film im Original kurz vor der Mannheimer Zeit im Kino gesehen und hatte zwar nicht unbedingt das Bedürfnis, eine mentale Brücke in die unaufgeräumte Lebenszeit vor dem Knast zu schlagen, aber der Film hatte mir gefallen. Ich freute mich auf gut zwei Stunden Unbeschwertheit in meinem Hotelzimmer. Das lag im Parterre, was den Nachteil hatte, dass die Vorhänge permanent zugezogen bleiben mussten, aber das war egal, schließlich war ich jeden Nachmittag unterwegs. Meist erst zwischen zweiundzwanzig und dreiundzwanzig Uhr und manchmal nach einer anstrengenden Zeit des Wartens auf reine Luft auf diversen Parkplätzen in und um Niebüll konnte ich wieder in mein Hotel huschen – wenn auch der letzte Rentner, der noch mal frische Luft schnappen wollte, zu Bett gegangen war. Menschen meines Alters und darüber waren ja bis zum 20. März 2010 meine klassische Zielgruppe bei den Öffentlich-Rechtlichen gewesen, von denen kannte mich daher jeder. Und nach meiner Mannheim-Zeit kannten mich nicht nur die, wie ich bei flüchtigen Begegnungen erfahren musste, als Menschen in ein unverwandtes Starren verfielen, sobald sie meiner ansichtig wurden.
    Während des Aufenthalts in Niebüll kam zweimal Anwalt Birkenstock von der Insel herüber; es waren ein paar angenehme Stunden, seine Frau war nicht dabei, er schien entspannter zu sein als sonst und war weiterhin überzeugt von seinem Credo: »Die können Sie nicht verurteilen.« Mir jedoch war der Glaube an Recht und Gerechtigkeit zumindest teilweise

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