Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)
hat.«
Burdas Werkzeug der Anklage sprach also schon mal Recht, und gleichzeitig wurde in den Medien der Grundstein für die Monstrifizierung gelegt. Dabei machten viele Journalisten sich zunächst nicht selbst die Finger dreckig, sondern fanden fragwürdige Experten, die wie feng-shui-schule.ch schon mal am 24. März 2010 entdeckten, dass es Kachelmann wegen seines Verhältnisses zwischen Ober- und Unterlippe »nicht immer leichtfallen könnte, seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen oder angemessen darauf zu reagieren«.
Die Geburtsstunde von Dr. Jekyll und Mr. Hyde, die viele Medien verzweifelt herbeischreiben wollten. So zu tun, als hätte ich irgendeinen »Schalter, der sich umlegt«, oder wahlweise einen »eiskalten Blick«, war die neueste Idee. Diese extrem dreiste Lüge über einen Menschen wie mich, der Jähzorn, Aufbrausen und Schreien eher vom Hörensagen kennt und sehr unangenehm findet, konnte sich durch geschickte Orchestrierung über ein Jahr halten, bis am 5. Mai 2011 zum großen Be dauern der vollzählig anwesenden Presse Gutachter Dr. Hartmut Pleines mir attestierte, dass ich nicht psychisch gestört sei. Das Gericht hatte schon geahnt, dass das so war, und Pleines’ Auftritt ganz ans Ende des Prozesses gesetzt, wohl hoffend, dass vorher noch irgendjemand irgendwas Tolles sagte, was für eine Verurteilung wegen nichts gereicht hätte.
Aber vorläufig befinden wir uns noch im Frühling 2010, und Mr. Hyde musste erst einmal anständig aufgepustet werden. Laut Bild hätten mich zu Abiturzeiten die Mitschüler als »schwul« verspottet, und an eine Freundin könne sich niemand erinnern (was überrascht, drehte ich doch schon damals längere Zeit mit Schulfreundin M. meine Runden im Pausenhof, und hey, als sie mich verabschiedet hatte, habe ich doch noch nach der Schultheateraufführung ausführlich mit R. rumgeknutscht – zählt das alles gar nichts mehr?). Das hört sich doch schon mal nach einem guten Setup für einen Ausraster an: Eigent lich ist er schwul, aber jetzt wollte er mal beweisen, dass er ein Mann ist, und es der Schlampe zeigen … Ungefähr so lief wohl die angepeilte Denkkonstruktion für den Leser. Ebenso grotesk war die Bil d -Geschichte, dass ich »Bedienungen und weiblichen Gästen gegenüber ausfallend«, »sexistische Witze machen« und »frauenfeindliche Zoten« durchs Lokal rufen würde. Dabei würde ich so etwas nicht mal mit drei Promille machen. Das ist frei erfunden, zeigt aber die Wehr losigkeit eines Menschen, der im Knast sitzt. Er muss alles aushalten, und sei es noch so weit hergeholt, denn in einer Situation der Schwäche versucht jeder Charakterwiderling seine Chance zu nutzen.
Der Schweizer Wettermitbewerber Peter Wick stand vor der Herausforderung, den Spagat zu lösen, dass mir ein angeblich großer Narzissmus innewohnte, was andererseits aber so gar nicht zu meinem, sagen wir legeren Äußeren passte. In seiner Mitteilung an die Welt musste Wick sich deshalb große Mühe geben: »Das etwas schmuddelige Auftreten könnte sogar narzisstisch oder eitel sein. Er war zudem nicht immer nur charmant, sondern konnte tiefschwarz sarkastisch sein. Er hatte tat sächlich zwei Seiten.« Das schien das Leitmotiv aller Dinkel-Unterstüt zer zu sein, die aufs Stichwort die Geschichte mit den »zwei Seiten« oder mit dem Schalter, der sich angeblich umlegte, irgendwie bestätigten.
Der ganze frei erfundene Wahnsinn, mit dem ich so präsentiert werden sollte, dass ich zumindest insoweit einen an der Waffel hätte, dass ich es eben getan haben könnte, ist in einem Wel t- Artikel ( http://www.welt.d e /die-wel t /vermischte s /article9406861/Die-Akte-Jörg-Kachelmann.html ) schön zusammengefasst. Und wenn man gefallen ist, kommen alle Ratten aus ihren Löchern. Die Medien erfinden Dinge, auf die man erst mal kommen muss. Am 2. April 2010 frohlockte der Schweizer Blick :
»Hat Kachelmann seine Freundin […] unter Drogen zu Sex gezwungen? Spielen Drogen wie Kokain eine Rolle im Leben des Schweizer TV -Moderators – und wenn ja, bis zu welchem Grad? Diese Fragen stellten sich die Ermittler im Fall Kachelmann diese Woche. Und ordneten einen Drogentest an.
Kurz nach seiner Verhaftung hatte sich Jörg Kachelmann noch geweigert, eine Speichelprobe abzugeben. Später stimmte er aber der Abgabe einer Haarprobe zu […]. Jetzt aber musste sich der inhaftierte TV -Moderator Jörg Kachelmann offenbar einem Drogentest unterziehen – Haar- und DNS -Probe inklusive, wie das
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