Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)

Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)

Titel: Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kachelmann , Miriam Kachelmann
Vom Netzwerk:
abhandengekommen.
    Als dann die Pläne des Gerichts bekannt wurden, welche Zeugen das Gericht in welcher Reihenfolge würde hören wollen, nannte Birkenstock dies richtigerweise eine Kriegserklärung – normal wird das angebliche Opfer immer zuerst gehört, dann irgendwelche Zeugen, Gutachter und das war’s auch schon. Seidling hat alles umgekehrt: Ich sollte erst durch die sogenannten »Beziehungszeuginnen« sturmreif geschossen werden, und ganz am Ende, wenn sowieso schon alle Leute glaubten, dass ich ein Verbrecher sei, sollte kurz vor dem Urteil noch schnell Frau Dinkel kommen und weinen. Ich wusste, dass ich noch einen langen Weg des Kampfes vor mir hatte, wie mir auch eine E-Mail der Dinkel-Kämpferin Tanja May von der Bunten zeigte:
    Lieber Herr Kachelmann,
    als ich Ihr Interview im Fernsehen sah, wusste ich, wie Sie all die schönen, süßen, braven Lausemädchen für sich gewinnen konnten. Da mein Kollege und ich mittlerweile so viele Ihrer reizenden Frauen kennengelernt haben, würden wir uns sehr gern auch einmal mit Ihnen unterhalten. Interesse?
    Mit freundlichen Grüßen
    Tanja May
    […]
    Chefreporterin
    Mitglied der Chefredaktion
    BUNTE Entertainment Verlag GmbH
    Arabellastr. 23
    81925 München
    Die Fahrten übers flache dänische Land waren nie ganz entspannt. Sicher, alles war besser als die Zelle 1328 in Mannheim, aber die Anspannung war bei meinen Ausflügen nach Südjütland kaum geringer, und ich weiß immer noch nicht, ob mir bei meinem fast täglich besuchten Ziel, der wunderschönen Hjerpsted Kirke, ein Paparazzo auf der Spur war oder nicht. Da war auf alle Fälle ein Auto mit einem deutschen Kennzeichen und ein Mensch mit einer Kamera. Ich hetzte von einem Versteck zum nächsten, Gebäudeecken, Grabsteine, was es gerade gab, und hoffte, dass die Blutdruckmedikamente ihren Job machten. Vermutlich hätte ich mein Auto mit dem journalistenbekannten Schweizer Nummernschild nicht einfach sichtbar hinstellen dürfen. Aber was sollte ich machen?
    Irgendwann fuhr der mögliche Paparazzo wieder weg. Ich fühlte mich elend. Das war sie nun also, die Freiheit, und sie fühlte sich gar nicht so toll an. Ich kaufte mir eine Basecap mit der Aufschrift »Danmark« und setzte sie nie mehr ab, wenn ich draußen war, obwohl ich das einengende Gefühl auf dem Kopf noch nie leiden mochte. Vielleicht hatte ich damit ein bisschen mehr Chancen auf Unerkanntheit.
    In die Niebüll-Woche fiel auch ein schneller Flug in die Schweiz, um meine Mutter und die Firma zu besuchen. Meine Mutter war sehr dankbar, dass ich draußen war, aber voller Wut auf die Menschen, die mich in den Knast gebracht und dort gehalten hatten. Sie hatte an die Präzision und Seriosität der deutschen Polizei und Justiz nach 1945 geglaubt, und nun musste ich ihr aufgrund meiner Erfahrungen sagen, dass zumindest in Mannheim und Schwetzingen beziehungsweise im Beritt der Polizeidirektion Heidelberg dieses Vertrauen völlig unberechtigt ist. Sie glaubte an ein rasches Ende des Prozesses, und ich musste ihr klarmachen, dass ich es nun mit denselben Richtern zu tun haben würde, die mich so entschlossen im Knast hatten halten wollen. Ich hatte inzwischen deren »zirkelschlüssige« Begründungen für die Fortdauer der Haft gelesen und ahnte, dass diese Richter ratio nalen Erwägungen kaum zugänglich sein und im Gegenteil nach der narzisstischen Kränkung durch das Oberlandesgericht Karlsruhe vermutlich alles versuchen würden, am Ende doch noch recht zu bekommen und mich wieder einfahren zu lassen.
    Der Besuch bei der Firma war fast generalstabsmäßig geplant. Unser Finanzer holte mich am Flughafen ab, und in der Abenddämmerung erschien ich gleichsam als Überraschungsgast auf einer eigens aus diesem Anlass veranstalteten kleinen Grillparty. Es war sehr unwirklich und seltsam, als ob Jahre vergangen wären. Mein Büro, die Leute, alles war ein bisschen fremd. Ich ahnte schon damals, dass ich nicht wieder in meine alte Arbeitssituation in Sachen Fernsehen zurückkehren würde. Die Freude über meine Anwesenheit war bei den meisten Mitarbeitern greifbar. In einer kurzen Rede machte ich deutlich, dass ich kämpfen würde, für die Firma und für mich, und dass ich jetzt wieder da sei und dabliebe. Eines meiner Lieblingslieder ist »I won’t back down« in der Version von Johnny Cash, die ich noch überzeugender finde als das Original von Tom Petty. Das Stück hatte mir Mut gemacht in den dunklen Jahren des Kampfes um die Kinder, und ich habe den

Weitere Kostenlose Bücher