Rechtsdruck
sie, sondern fixierte seinen Vater, der ihm mit weit aufgerissenen
Augen und vor Wut zitternden Lippen gegenüberstand.
»Und für die Zeit, in der du mich ausgenutzt und ausgebeutet hast,
will ich jetzt eine Entschädigung. Ich will, dass du mir Geld gibst, damit ich meine
Schneiderwerkstatt einrichten kann.«
Gökhan Bilgin ballte die Fäuste. Er sah aus, als würde er sich im nächsten
Moment auf seinen Sohn stürzen. Seine Frau drückte Emre, den Nachzügler, fest an
sich, und fing an zu weinen.
»Was bildest du dir ein, du Nichtsnutz?«, schrie der alte Schneider.
»Was glaubst du, wer du bist? Du hast hier deine Beine unter den Tisch gesteckt
und dafür eine kleine Gegenleistung erbringen müssen. Und dafür willst du jetzt
Geld von mir und deiner Mutter?«
Kemal schüttelte den Kopf. »Ich will es von dir. Ich will es nur von
dir.«
»Selbst, wenn ich wollte, was ganz sicher nicht so ist, wie stellst
du dir das vor? Soll ich einen Kredit aufnehmen, damit mein Herr Sohn seine versponnenen
Zukunftspläne ausleben kann? Damit er sich, mal wieder, eines seiner Hirngespinste
erlauben kann?« Der Klang seiner Stimme hatte nun etwas Hämisches. »Nein, mein Junge,
geh mal schön selbst zur Bank und kümmere dich um deine Angelegenheiten.«
Er hob den Kopf ein Stück höher und sah seinen Sohn an, als wäre ihm
in diesem Augenblick ein Licht aufgegangen. »Ach so«, ätzte er, »da warst du bestimmt
schon. Und sie haben dich weggeschickt, weil du ohnehin so viele Schulden hast.
Sie wollen dir kein weiteres Geld mehr leihen, weil sie Angst haben, dass sie es
genauso wenig zurückbekommen wie das, was du dir schon bei ihnen geliehen hast.
So ist das. Und du denkst, dann gehe ich eben zu meinem Vater und hole mir das Geld
von ihm. Aber nicht mit mir, mein Freund, nicht mit mir!«
Sein Sohn schluckte. Seine Stimme bebte, als er antwortete. »Du hast
das schöne, große Haus von Opa in der Türkei. Das kannst du beleihen. Oder verkauf
es von mir aus, ist mir egal. Irgendwann würde ich es sowieso erben, also kann ich
das Geld auch jetzt gleich haben.«
Gökhan Bilgin verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Ich soll mein
Elternhaus verkaufen, damit du das Geld hier in Deutschland in den Sand setzen kannst?
Damit ein Rotzlöffel, der nicht weiß, wie sich das Klingeln eines Weckers anhört,
seinen Traum von einer eigenen Schneiderwerkstatt erfüllen kann? Bei allem, was
mir heilig ist, das wäre das Letzte, was ich machen würde! Und ob du eines Tages
der Erbe dieses Hauses sein wirst, steht in den Sternen. Und zwar ganz weit in den
Sternen. Lieber würde ich es …« Er stockte.
»Ja, sag es nur«, brüllte Kemal. »Sag, dass du das Haus lieber dem
Imam in den Rachen werfen würdest, als es deinem Sohn zu geben. Sag es ruhig!«
»Ja«, schrie der alte Bilgin in der gleichen Lautstärke zurück, »genauso
ist es. Wenn ich mein Haus in der Türkei verkaufe und das Geld der Gemeinde zur
Verfügung stelle, geschieht wenigstens etwas Sinnvolles damit. Wenn ich es dir gebe,
kann ich es auch gleich verbrennen.«
»Gökhan, Kemal, bitte«, machte Demet Bilgin mit weinerlicher Stimme
einen weiteren Versuch, den Streit zu schlichten, doch sie erreichte damit weder
ihren Mann noch ihren älteren Sohn.
»Du bist ein Menschenschinder und kleinkarierter Fundi, ein Hardliner,
wie er im Buche steht«, schleuderte Kemal Bilgin seinem Vater hasserfüllt entgegen.
»Du hast mich ausgebeutet und wie deinen Sklaven behandelt, und jetzt willst du
nichts mehr damit zu tun haben. Das ist genau der Grund, warum ich mit deiner Religion
nichts zu tun haben will. Weil Arschlöcher wie du, die den ganzen Tag nichts Besseres
zu tun haben als Koransuren zu lesen, sich darüber aufregen, dass es so viele Ungläubige
gibt auf der Welt. Aber die Ungläubigen sind eigentlich der einzige Grund, warum
du so gläubig sein willst. Du willst den anderen beweisen, dass du etwas Besseres
bist, etwas Besonderes. Aber das bist du nicht. Du bist immer noch der faule, intolerante
Drecksack, der vor ein paar Jahrzehnten nach Deutschland gekommen ist. Und der allen
Menschen vorschreiben will, was guter Glaube ist und wie sie zu leben haben.«
Der junge Türke spuckte vor seinem Vater auf den Boden. »Im Grunde
deines Herzens bist du ein kleinkariertes armes Schwein, das sich auf seiner Religiosität
ausruht.«
Er drehte sich zu seiner Mutter hin. »Es tut mir leid für dich, Mama.
Es tut mir so ewig leid, dass du mit diesem Arschloch leben musst.«
Damit
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