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Rechtsdruck

Rechtsdruck

Titel: Rechtsdruck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias P. Gibert
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mal bei dir im Büro vorbeikommen?«
    Der Richter winkte ab. »Morgen geht gar nichts. Da bin ich komplett
in die Sache wegen des Eishockeyklubs eingespannt.«
    »Stimmt«, schlug Gebauer sich an die Stirn, »das ist ja morgen.«
    »Nächste Woche ist es besser. Ruf einfach an und komm am besten zur
Mittagszeit, dann können wir gemeinsam eine Kleinigkeit essen und dabei thematisieren,
was dir auf der Seele liegt.«
    »Gern«, erwiderte Gebauer, stand auf, und verließ die Veranstaltung.
Auf dem Parkstreifen gegenüber dem Restaurant am noblen Brasselsberg, der feinsten
Wohngegend Kassels, drehte er sich noch einmal um, bevor er in den Wagen stieg,
und blickte stirnrunzelnd zurück.
     
    *
     
    Niemals hätte der 54-jährige Mann damit gerechnet, sich seinen Lebensunterhalt
noch einmal als Rechtsanwalt verdienen zu müssen. Seine politische Karriere kannte
bis zu jenem verhängnisvollen 15. Januar 2009 nur eine Richtung, nämlich steil bergauf.
Er hatte seinen Wahlkreis beim vorangegangenen Urnengang so souverän gewonnen, dass
er für die Hessischen Landtagswahlen am 18. Januar 2009 mit an Arroganz grenzender
Selbstsicherheit auf die Absicherung über die Landesliste verzichtet hatte. Dann
kam der Donnerstag vor der Wahl. Die Veranstaltung in der Kasseler Stadthalle sollte
den Endspurt des Wahlkampfes einläuten. Alle Meinungsumfragen sahen seine Partei
vorne, und sein persönlicher Erfolg wurde zu keiner Zeit infrage gestellt. Der Ministerpräsident
hatte gesprochen, hatte die noch unentschlossenen Zuhörer umworben, und sich im
Anschluss für ihn stark gemacht.
    Das ist der zukünftige starke Mann unserer Partei in Nordhessen, und
nicht nur dort, hatte der Landesvater mit einem Fingerzeig auf ihn postuliert, bevor
er sich aufgemacht hatte zum Hubschrauber und zur nächsten Veranstaltung an diesem
Abend.
    Gebauer war während seiner anschließenden Rede über sich hinausgewachsen.
Mit großer Sorgfalt hatte er alle Wahlkampfthemen, die er für wichtig erachtete,
Punkt für Punkt abgearbeitet. Der anschließende Beifall wäre mit tosend noch am
treffendsten beschrieben, und der Jurist sonnte sich deutlich sichtbar im Licht
seiner bevorstehenden grandiosen Erfolge. Ihn, den viele, auch in den Reihen seiner
eigenen Partei, als Rechtsausleger bezeichneten, würden sie brauchen, um den erzkonservativen
Flügel der Parteienlandschaft zu bedienen. Und war nicht in der Rede des Ministerpräsidenten
sogar so etwas wie der unausgesprochene Wunsch angeklungen, in Gebauer einen potenziellen
Nachfolger zu sehen?
    Eine Stunde, nachdem er gesprochen hatte, war die Veranstaltung mit
dem Absingen der Nationalhymne zu Ende gegangen. Gebauer hatte sich seinen Mantel
geschnappt und wollte schnellstens nach Hause, auch, weil er zu diesem Zeitpunkt
seit mehr als 15 Stunden auf den Beinen war. In normalen Zeiten wäre das für ihn
kein Problem gewesen, doch die zurückliegenden Wochen waren hart und kräftezehrend
gewesen. Hastig verabschiedete er sich von seinem Team, griff nach seiner Aktentasche,
und stürmte aus der Halle. Schon auf der Treppe, die ins Foyer führt, erkannte er
an deren Ende das Gesicht von Andreas Bärsch. Der behinderte Mann, der seit vielen
Jahren im Rollstuhl saß, sah ihm hämisch grinsend entgegen.
     
    Es war durchaus nicht übertrieben, das Verhältnis der beiden Juristen
zueinander als spinnefeind zu bezeichnen. Schon während des gemeinsamen Studiums
in Marburg hatte sich diese herzliche Abneigung entwickelt, und in den darauffolgenden
Jahren, auch, weil sich beide immer wieder auf den Fluren und in den Sälen der nordhessischen
Gerichte begegneten, dramatisch verstärkt. Gebauer stand für die eine politische
Richtung, Bärsch für die diametral entgegengesetzte. Und jeder hätte dem anderen
zu jeder Stunde seines Lebens die schlimmste vorstellbare Krankheit an den Hals
gewünscht.
     
    Nun wartete Andreas Bärsch mit diesem, wie Gebauer fand, fiesen Gesichtsausdruck
am Ende der Treppe auf ihn. Es war klar, dass der Mann im Rollstuhl ihm eine Gemeinheit
mit auf den Weg geben wollte, was schon zu einer gewissen Routine geworden war.
Immer wieder besuchte er die politischen Veranstaltungen Gebauers und versuchte,
sie durch Störungen zu torpedieren. Oder er wartete, wie an diesem Abend, auf seinen
Lieblingsfeind, um ihn mit vermeintlich unangenehmen Fragen zu löchern.
    Gebauer nahm sich vor, Bärsch einfach zu ignorieren und sprang, jeweils
zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinunter. Unten

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